Shannara VII
bleiben. Er fiel auf die Knie, dieser starke Mann, der so viel durchgemacht und erduldet hatte, und bettelte. Er weinte, aber es war nutzlos. Schlimmer noch, sinnlos. Sie begriff sein Verhalten nicht. Ihr fehlte es an den entsprechenden Erfahrungen. Geister weinen und betteln nicht. Sie handeln instinktiv und aus ihren Bedürfnissen heraus. Für sie war die Sache klar. Sie war ein Geschöpf des Waldes und der Geisterwelt. Er hingegen nicht. Daher konnte sie nicht bei ihm bleiben.
Als sie sich schließlich umdrehte, davonging und ihn bereits beinahe wieder vergessen hatte, verwandelte sich seine Verzweiflung in Zorn. Sein zerstörtes Leben und all die Qualen waren nicht mehr zu ertragen, und so stürzte er sich ohne nachzudenken auf sie und trieb ihr sein Jagdmesser durch den Rücken ins Herz. Sie war tot, ehe er ihren Körper auf den Boden gelegt hatte.
Er riss das Messer heraus und wollte auch den Jungen töten, doch der war verschwunden.
Der Grenzländer lief umher und suchte nach ihm. In der Hand hielt er das Jagdmesser, an dem das Blut der Gestaltwandlerin noch feucht glänzte, und damit fuchtelte er vor den Schatten herum und beklagte sein Schicksal. In der Dunkelheit unter den Bäumen suchte er nach dem Jungen. Der Wahnsinn hatte ganz und gar von ihm Besitz ergriffen, die Blutgier beherrschte sein Wesen.
Er lief umher, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach, dann schlief er ein.
Doch ehe er aufwachen konnte, um seine Suche fortzusetzen, fand der Junge ihn, nahm ihm das Messer ab und schnitt ihm mit sicherer, geübter Hand die Kehle durch.
Truls Rohks tiefe, kehlige Stimme verstummte. Geduckt glitt er weiter vor Bek durch das hohe Gras. Der Hochländer wartete auf eine Fortsetzung der Geschichte, die jedoch ausblieb. Schweiß bedeckte das sonnengebräunte Gesicht des Jungen, ein feuchter Schein, der gleichermaßen von Entsetzen und Anstrengung herrührte. Dabei zusehen zu müssen, wie der Vater die Mutter tötet, und anschließend selbst den Vater umzubringen, war ein fürchterliches Erlebnis. Wie musste es gewesen sein, solch rasenden Wahnsinn im Alter von zwei Jahren mit anzuschauen? Schlimmeres konnte sich Bek nicht vorstellen, vor allem, da Truls Rohk halbmenschlich war und menschliche Gefühle kannte.
»Bleib unten«, warnte der Gestaltwandler mit leisem Knurren.
Er blieb stehen und drehte sich zu Bek um. Das Gesicht war unter der Kapuze verborgen, der Körper vom Mantel verhüllt, aber Bek spürte die Hitze, die durch die Kleidung von ihm ausstrahlte.
»Ich habe sie begraben, wo sie niemand finden wird. Zuerst habe ich nichts gefühlt, erst viel später, als ich Zeit hatte, darüber nachzudenken.« Truls Rohks Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Es war gar nicht so schrecklich, bis ich begriff, dass ich die beiden einzigen Wesen verloren hatte, die wie ich sind - nicht in körperlicher Hinsicht, sondern durch den Blutbund. Sie waren meine Eltern. Niemand würde jemals für mich sorgen wie sie. Sogar mein Vater hätte mich vermutlich geliebt, wäre ihm Zeit geblieben und er nicht dem Wahnsinn anheim gefallen. Jetzt war ich allein und gehörte weder der einen noch der anderen Art an, war weder Geist noch Mensch. Zum Teil gehörte ich zu beiden Gruppen, und damit gehörte ich eigentlich zu keiner.«
Er lachte verbittert. »Bei den Menschen zu leben habe ich niemals versucht. Ich weiß, wie sie auf mich reagieren würden. Ein paar Mal haben sie mich in den Bergen aufgespürt und gejagt wie ein Tier. Ich habe auch versucht, mich zu den Gestaltwandlern zu gesellen, denn tief im Wolfsktaag leben einige Gruppen von ihnen, und ich konnte ihre Verstecke entdecken. Aber sie witterten meinen menschlichen Teil, und sie wussten, was ich war. Meine Mutter habe eine verbotene Grenze überschritten, sagten sie. Ihr Vergehen sei unverzeihlich. Besser sei es, wenn ich ebenfalls sterben würde. Einer von ihnen könne ich niemals werden. Ich müsse mein Leben in Einsamkeit verbringen.«
Er blickte Bek an. »Verstehst du jetzt, warum wir uns ähnlich sind?«
Bek schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung und wusste nicht einmal, ob er irgendwelche Vermutungen anstellen sollte.
»Du wirst schon noch verstehen«, flüsterte der andere.
Er wandte sich ab, ging weiter durch das hohe Gras und eilte nun auf den Eingang der Burg zu. Bek folgte ihm, da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, und fragte sich noch immer, in welcher Hinsicht sie sich ähnlich waren. Bis hier unten, kurz vor der Burg, war er
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