Shannara VIII
oberen Ästen des Hickory entdeckt und den Caull auf die andere Seite geschickt hatte, um dort die Fährte wieder aufzunehmen. Durch diese List hatte sie die Zeit verloren, die sie während der Nacht aufgeholt hatte. Heute Nacht würde sie wieder nicht schlafen. Allerdings fiel ihr das leicht, im Gegensatz zu dem Jungen.
Das Gebüsch teilte sich, und der Caull kehrte zurück. Sie hatte ihn ausgeschickt, um sich etwas zu fressen zu suchen, und dem verschmierten Blut um die Schnauze zufolge hatte er Erfolg gehabt. Der Caull ließ sich ein Dutzend Schritte vor ihr nieder und beobachtete sie. Er war ein gefährliches Tier. Sie konnte es sich nicht leisten, ihm den Rücken zuzuwenden; er hasste sie für das, was sie ihm angetan hatte, und würde sie töten, wenn er die Chance erhielte. Gehorsam bewies er lediglich, weil er keine andere Wahl hatte; mit ihrer Magie hielt sie ihn an der kurzen Leine. Doch wenn sie losließ, auch nur ein bisschen…
Sie betrachtete ihn kurz, dann wandte sie sich ab. Sie durfte keine Angst oder auch nur Interesse an ihm zeigen. Den Caull hatte sie geschaffen, um einen Zweck zu erfüllen, das war alles. Was sie mit ihm anstellen würde, nachdem sie den Jungen gefunden hatte, und was er darüber dachte, wusste sie nicht. Vermutlich konnte der Caull sowieso nicht so weit im Voraus denken, und das war ihr nur recht.
Stattdessen grübelte sie darüber nach, was sie mit dem Jungen anstellen würde. Was sie mit dem Caull und dem Gestaltwandler machte, war leicht zu entscheiden, bei dem Jungen hingegen verhielt es sich anders. Sie war ihm nicht den ganzen Weg gefolgt, um ihm einfach den Garaus zu machen; er stellte außerdem eine wichtige Verbindung zu dem Druiden dar, ein potenzielles Fenster zu dessen Gedanken. Ehe der Druide starb, würde sie alles über ihn erfahren, was es zu erfahren gab. Der Junge sollte bei ihr für Verwirrung sorgen und sie durcheinander bringen, aber möglicherweise war er trotzdem eine Hilfe. Einige Dinge, die ihn betrafen, musste sie erst noch verstehen - wie er zum Beispiel in den Besitz einer Magie kam, die ihrer eigenen so sehr ähnelte, woher er so viel über sie wusste, was der Wahrheit zu entsprechen schien, und wieso er so echt wirkte. Sicherlich gab es Erklärungen dafür, doch die, die sie bisher bekommen hatte, reichten ihr nicht aus. Sie wollte die ganze Wahrheit wissen, ehe sie mit ihm abrechnete. Ehe sie sich seiner entledigte, würde sie alles aus ihm herausholen.
Jetzt stellte sie sich sein Gesicht vor, erinnerte sich an seine Stimme. Sie hörte noch, wie er ihr erklärte, er sei ihr Bruder, er sei Bek, der irgendwie den Brand des Hauses und den Mord an ihrer Familie überlebt hatte. Natürlich konnte sie das nicht für bare Münze nehmen. Der Druide hatte nur sie allein gewollt, und nachdem sie dem Morgawr erzählt hatte, wo sie ihren Bruder versteckt hatte, meinte dieser, es könne in der Asche und unter den Trümmern ihres Heims niemand überlebt haben.
Dunkle Schatten sammelten sich in ihren Gedanken und verdichteten sich zu einer Warnung. Immer vorausgesetzt, der Morgawr hatte ihr die Wahrheit über Bek erzählt. Aber sie hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, denn schließlich hätte sich Bek für ihn als genauso nützlich erwiesen wie sie selbst. Nein, der Druide und seine Helfershelfer hatten ihre Eltern getäuscht und sie ermordet, nur ihretwegen. Er allein trug die Schuld und musste sich dafür verantworten, und der Junge war lediglich ein weiteres Opfer in ihrem Krieg, einander gegenseitig zu zerstören. Sicherlich besaß der Junge Verstand, doch auch dabei handelte es sich nur um eine Kriegslist und eine Täuschung; am Ende war er lediglich ein Junge, der so aussah, wie Bek vielleicht ausgesehen hätte, wenn er nicht gestorben wäre, ein Junge, dem man eingeredet hatte, er sei jemand, der er überhaupt nicht war.
Sie erhob sich, und der Caull stand gleichzeitig auf, wobei seine Augen hell und erwartungsvoll leuchteten. Er war zur Jagd bereit, also sollte er seinen Willen haben. Mit einem Wink schickte sie ihn voraus, damit er die Spur erschnüffelte und trotzdem dicht genug bei ihr blieb, sodass er nichts ohne ihr Wissen tun konnte. Denn er sollte nicht den Jungen fangen und in Stücke reißen, ehe sie die Möglichkeit hatte, in seine Gedanken vorzudringen. Mit dem Gestaltwandler verhielt es sich anders - ob es dem Caull gelingen würde, den zu überraschen, bezweifelte sie. Aller Wahrscheinlichkeit nach musste sie sich mit ihm befassen,
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