Shannara VIII
»Benutze deine empathischen Fähigkeiten bei dem Kehrer, und schau, was du von ihm erfahren kannst.«
Sie runzelte die Stirn. »Du möchtest, dass ich ausprobiere, ob ich, wenn ich ihn berühre, eine Vision haben werde?«
»Von der Vergangenheit, von der Zukunft, von der Gegenwart, von allem, das uns helfen könnte.«
»Aber es ist eine Maschine, Ahren.«
»Versuch es trotzdem. Du hast doch gesagt, der Kehrer sei empfindungsfähig. Falls das stimmt, könntest du vielleicht etwas aus seinen Gedanken erfahren. Möglicherweise entdeckst du, wie weit wir noch zu gehen haben, um Walker zu finden.« Hilflos schüttelte er den Kopf. »Ich möchte lediglich eine Bestätigung, dass wir nicht umsonst hier unten sind und dass es sich lohnt weiterzugehen.«
Eine Weile lang starrte sie ihn unentschlossen an. Schließlich nickte sie langsam. »Also gut, ich versuche es.«
Sie aß ihren letzten Bissen Brot, legte den Wasserschlauch nieder und erhob sich. Der Kehrer rollte weiter, weil er dachte, sie seien fertig, kehrte jedoch zurück, da Ahren keine Anstalten machte, ihm zu folgen. Ryer Ord Star trat wortlos an die Maschine heran, kniete neben ihr und legte die Hände auf den rundlichen Metallkörper und drückte mit den Fingerspitzen zu, während sie die Augen schloss. Ihr bleiches, vergeistigtes Gesicht spannte sich vor Konzentration an.
Im nächsten Augenblick wiegte sie heftig auf den Hacken hin und her, und ihr schlanker Körper versteifte sich im Schockzustand. Ahren zuckte zusammen. Der Kehrer bewegte sich nicht; Ryer Ord Star hing an ihm fest, krümmte die Finger und warf den Kopf in den Nacken, hielt die Augen geschlossen und die Arme ausgestreckt, und die Bilder, auf die sie bei ihrem Kontakt mit der Maschine stieß, lösten Gefühle aus, welche man deutlich von ihrer Miene ablesen konnte, brutal, schonungslos und erschütternd.
Sie stöhnte leise, sank in sich zusammen, und ihre Hände glitten ab. Sofort und ohne zu zögern, sogar ohne die Augen aufzuschlagen, begann sie zu sprechen.
»Ein junger Mann, ein Elf, wurde in Ketten hierher gebracht, übel zugerichtet und schwer verwundet nach einem Gefecht, in dem seine Gefährten gefallen waren. Die Augen hatte man ihm ausgestochen, die Zunge herausgeschnitten. In seinem Besitz befanden sich Elfensteine, die er fest mit der Hand umklammerte und nicht losließ. Sie besaßen magische Eigenschaften und eine Macht, die ihn hätte befreien können, hätte er nur den Willen dazu aufgebracht, sie zu benutzen. Doch sein Verstand lag ebenso in Ketten wie sein Körper, und er hatte keine Kontrolle mehr darüber. Kriecher trugen ihn an diesen Ort tief unter der Erde, in einen Raum voller Maschinen und blinkender Lichter. Man setzte ihn in einen Stuhl. Eiserne Handschellen hielten ihn fest, Drähte wurden von Kriechern in seinen Körper und unter die Haut eingeführt.«
Sie schlug die Augen auf und sah ihn mit bleichem, gehetztem Gesicht an. Was sie in einer Welt, deren Existenz sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen mögen, mit angesehen hatte, bestürzte sie so sehr, dass sie nun wie ein Kind wirkte, das aus einem Albtraum erwacht ist.
»Ein Wesen beobachtete das alles, ein empfindungsfähiges Wesen ohne Körper und Gestalt. Es trug den Namen Antrax. Dieser Antrax verbarg sich in den Wänden und Böden und Decken, überall auf einmal. Er konnte sehen, obwohl er keine Augen hatte. Er fühlte, ohne etwas zu berühren. Er bestimmte das Schicksal des halb toten Elfen. Zudem kontrollierte er seinen Verstand. Nachdem der Elf an den Stuhl gefesselt war, verband man viele Drähte aus einer Kiste mit der Hand, welche die Elfensteine umklammerte. Durch die Drähte wurden dem Elfen Bilder in den Verstand gesandt, sodass er Dinge sah, die überhaupt nicht vorhanden waren und die ihn dazu trieben, die Magie der Steine einzusetzen. Diese Magie wurde von der Kiste gesammelt und geraubt, durch die Drähte abgeleitet und zu anderen Orten geführt.«
Sie starrte Ahren an, als könnte sie den Blick nicht abwenden, und verlor sich in den Bildern ihrer Vision. »Das habe ich gesehen. Das alles.«
»Du hast Kael Elessedil gesehen«, sagte Ahren leise.
Sie holte tief Luft. »Kael Elessedil«, wiederholte sie und erschauderte. »Dreißig Jahre lang hat er so gelebt!«
Ihr Bericht überstieg seine Vorstellungskraft. Wie konnte man jemanden solchen Qualen aussetzen? Welches Wesen war zu einer derartigen Schandtat fähig? Das ungute Gefühl in seinem Magen nahm an
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