Shannara VIII
von meiner Begabung des Sehens erzählte und sie bat, mich in ihrem Gebrauch zu unterweisen, verschwieg ich ihr, dass ich ein Empath war. Ich hatte Angst, es ihr zu sagen, da ich fürchtete, es würde ihre Entscheidung beeinflussen, ob sie mich zur Ausbildung bei sich aufnahm, und solange ich es für mich behielte, würde es keine Rolle spielen. Im dritten Jahr meiner Ausbildung jedoch hatte ich eine Vision, in der ein kleines Mädchen im Dorf Opfer eines Unfalls wurde. Wie es unsere Gewohnheit war, berichteten wir den Eltern davon und nahmen dafür von ihnen den Lohn entgegen, den sie uns aus freien Stücken zahlten. So hielten wir das mit allen, nicht um reich zu werden, aber um sorgenfrei leben zu können. Niemand beschwerte sich je. Diesmal genügte unsere Warnung allerdings nicht, um das Mädchen zu retten, und obwohl es bei dem Unfall nicht ums Leben kam, würde es vermutlich bald seinen schweren Verletzungen erliegen.
Ich bat die Addershag, mich zu ihr gehen zu lassen. Sie weigerte sich. Es gebe nichts, was wir unternehmen könnten und nicht bereits getan hätten. Ich ging trotzdem. Mit meinen empathischen Kräften heilte ich das Mädchen. Dabei tat ich so, als hätte sich das Kind von selbst erholt und als hätte ich ihm nur geholfen. Aber die Addershag ließ sich nicht täuschen. Sie sagte mir, eines Tages würde mich meine empathische Begabung töten, denn ein Empath, der versuchte, das Schicksal zu ändern, werde am Ende sein Leben vergeuden. Insofern würde ich lediglich meine Gabe und ihre Zeit verschwenden, und allein würde ich besser zurechtkommen. Sie verstieß mich. Sie warf mich hinaus.«
Die Seherin zog die Knie vor die Brust und lächelte Ahren verkniffen und traurig an. »Sie hatte Recht. Ich habe mich gut durchgeschlagen. Man kannte und schätzte mich. Mancher misstraute mir und stellte mein Talent auf die Probe, allerdings nicht sehr viele. Oft genug suchte man mich auf, und ich hatte viel Arbeit. Meine empathischen Fähigkeiten setzte ich behutsam ein. Ein- oder zweimal besuchte ich die Addershag, doch sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ihr Interesse bestand darin, die Zukunft zu enträtseln; die Vergangenheit - und somit auch ich - scherte sie nicht. Ich wurde verbittert und war wütend auf sie, weil sie mich so verschmähte. Trotzdem hatte ich auch Angst vor ihr. Sie hatte ein hohes Alter erreicht, und alle ihre Feinde waren tot und begraben. Zu denen wollte ich nun nicht gerade gehören. Daher hielt ich mich von ihr fern.
Dann suchte mich die Ilse-Hexe auf, und alles veränderte sich plötzlich.«
Kurz wandte sie den Blick von ihm ab und schaute in die Leere des Ganges, in die düster beleuchteten Schatten jenseits ihrer magischen Zufluchtsstätte, ja, sogar noch darüber hinaus zurück in die Vergangenheit.
Schließlich traf ihr Blick wieder den seinen. »Sie zeigte sich mir, etwas, von dem es heißt, sie hätte es noch nie getan. Sie war jung wie ich. Und eine Waise. Sie ähnelte mir so sehr, dass ich mich vom Augenblick unseres Kennenlernens an in ihr wieder fand. Noch dazu war sie eine mächtige Zauberin, und ich wünschte mir ihre Freundschaft und ihren Schutz. Als sie mir also die Vereinbarung vorschlug, nahm ich an. Ich sollte für sie in Grimpen Ward Augen und Ohren offen halten und ihr Neuigkeiten berichten, die sie noch nicht erfahren hatte. Sie würde im Gegenzug für den Tod der Addershag sorgen, und ich würde danach oberste Seherin in Grimpen Ward werden.«
Ihr bleiches, vergeistigtes Gesicht nahm einen verkniffenen Ausdruck an. »Ich beharrte darauf, dass der Addershag nichts zustoßen dürfe. Sie war schließlich alt und würde sowieso bald sterben. Ob ich das bezweifelte? Wollte ich ihr Schicksal erfahren? Die Ilse-Hexe reichte mir ein Kopftuch. Sie trug mir auf, eine Vision mit Hilfe dieses Stück Stoffs zu beschwören, das sie der Alten gestohlen hatte. Ich tat es und sah sie tot auf dem Boden ihrer Kate liegen, mit offenen, starrenden Augen. Nachdem sie gestorben wäre, brauchte ich nur noch in ihre Fußstapfen zu treten. Warum auch nicht? Ich war ihr einstiges Lehrmädchen, nach ihr die begabteste Seherin. Musste ich nicht folgerichtig ihre Nachfolgerin werden?
Daran glaubte ich natürlich fest, und die Zurückweisung der Addershag schmerzte mich noch immer. Daher stimmte ich diesem Handel zu und ließ den Ereignissen ihren Lauf. Die Ilse-Hexe wurde meine neue Ratgeberin und Freundin. Ich berichtete ihr alles, was sich im Dorf und in der Umgebung
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