Shantaram
schien sich in den langen runden Vokalen und den anderen typisch amerikanischen Einfärbungen seiner Sprache erhalten zu haben. »Aber ehe man aus der Praxis Profit schlagen kann, muss man sich mit der Theorie befassen.«
Die indische Rupie, erklärte mir Khaled, sei nicht frei handelbar. Man durfte sie weder ausführen noch außerhalb des Landes in US-Dollars umtauschen. Aus dem bevölkerungsreichen Indien reisten jeden Tag Tausende von Geschäftsleuten und Touristen aus. Diese Leute durften nur eine begrenzte Menge amerikanisches Geld ausführen – einen festgelegten Rupienbetrag konnten sie in Dollars zurücktauschen, für den gesamten Rest ihres Geldes bekamen sie aber ausschließlich Reiseschecks.
In der Praxis wurde diese Regelung folgendermaßen umgesetzt: Wer das Land verlassen und die erlaubte Menge Rupien in Dollars umtauschen wollte, musste auf der Bank seinen Pass und sein Flugticket vorlegen. Der Bankangestellte überprüfte das Abflugdatum auf dem Ticket und vermerkte sowohl dort als auch im Pass, dass der Reisende die zulässige Rupien-Höchstmenge in US-Dollars bereits umgetauscht hatte. Damit ließ sich dieser Vorgang nicht wiederholen. Es gab also keine legale Möglichkeit, für die aktuelle Reise weitere amerikanische Dollars zu kaufen.
In Indien hatte fast jeder wenigstens etwas Schwarzgeld unter der Matratze. Von den paar Hundert Rupien, die ein Arbeiter am Finanzamt vorbei verdiente, bis zu den Milliardenverdiensten aus dem organisierten Verbrechen betrugen die Einnahmen aus Schwarzgeldgeschäften angeblich fast die Hälfte der anderen, der sauberen Wirtschaft. Wer aber Tausende oder Hunderttausende nicht deklarierter Rupien besaß – so wie die vielen indischen Geschäftsleute –, konnte damit nicht einmal legale Reiseschecks kaufen: Die Bank oder das Finanzamt wollten immer ganz genau wissen, wo das Geld herkam. Die einzige Möglichkeit, Rupien zu tauschen, war, Dollars auf dem Devisenschwarzmarkt zu kaufen. Und so wurden in Bombay Tag für Tag Millionen von Rupien schwarz in US-Dollar, englische Pfund, D-Mark, Schweizer Franken und andere Währungen umgetauscht. All das auf einem Markt, der ein dunkles Spiegelbild des legalen Geldumtauschs war.
»Ich kaufe also von einem Touristen tausend amerikanische Dollar für achtzehntausend Rupien, während der offizielle Wechselkurs bei fünfzehn liegt«, fasste Khaled zusammen. »Der Tourist ist zufrieden, weil er dreitausend Rupien mehr hat, als er auf der Bank bekommen hätte. Dann verkaufe ich diese Dollars für einundzwanzigtausend Rupien an einen indischen Geschäftsmann. Der ist zufrieden, weil er die Dollars mit Schwarzgeld gekauft hat, das er sowieso nicht deklarieren kann. Ich stecke dreitausend Dollar in die Kasse und kaufe von einem anderen Touristen wieder tausend Dollar für achtzehntausend. Das ist die einfache Gleichung, die du für die Devisenschieberei kennen musst.«
Um an die Touristen zu kommen, die sich zum Geldtauschen verführen ließen, hatte Khaderbhais Klan eine kleine Armee von Anreißern, Stadtführern, Bettlern, Hotelbesitzern, Hotelboys, Gastwirten, Kellnern, Ladeninhabern, Angestellten von Fluggesellschaften und Reisebüros, Nachtclubbesitzern, Prostituierten und Taxifahrern gedungen, für sie zu arbeiten. Sie zu überwachen war eine von Khaleds Aufgaben. Morgens rief er alle Händler an, um die Wechselkurse für die wichtigsten Währungen festzusetzen. Alle zwei Stunden gab er telefonisch etwaige Kursschwankungen durch. Er hatte sein eigenes Taxi, das rund um die Uhr für ihn im Einsatz war. Die beiden Fahrer arbeiteten in Schichten. Jeden Morgen traf er sich mit den Geldkurieren der einzelnen Gebiete und händigte ihnen bündelweise Rupien für die Straßenhändler aus. Anreißer und andere kleine Straßenkriminelle, die mit den Devisenschwarzhändlern zusammenarbeiteten, führten ihnen die Touristen und Geschäftsleute zu, mit denen sie Geschäfte machen konnten. Die Händler tauschten das Geld um, und die ausländische Währung wurde später bündelweise abgeholt. Die Geldkuriere klapperten den ganzen Tag die Händler ab und versorgten sie nach Bedarf mit Bargeld. Und mehrmals am Tag und in der Nacht machten sie die Runde und sammelten die Bündel ausländischer Währung ein.
Khaled überwachte die persönlichen Übergaben und den Wechselverkehr in Hotels, Reisebüros, den Niederlassungen von Fluggesellschaften und anderen Etablissements, in denen ein größeres Maß an Diskretion erforderlich war. Zweimal
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