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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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umbringen sollen. Als ich ihn blutüberströmt und übel zugerichtet in der Nähe des St. George Hospital liegen ließ, warnte mich eine innere Stimme, dass die Sache damit nicht ausgestanden sei. Und tatsächlich schwankte ich einen Augenblick lang. Die Mordlust stand mir in den Augen, als ich so über ihm stand und auf ihn herunterblickte. Doch ich konnte ihm nicht das Leben nehmen. Etwas, das er gesagt hatte, als er um Gnade flehte, hielt mich davon ab: Er hätte mich deshalb als Verantwortlichen für den Betrug erfunden und den nigerianischen Killern ausgeliefert, weil er eifersüchtig auf mich sei, hatte er gesagt. Weil er eifersüchtig auf mein Selbstvertrauen sei, auf meine Stärke, meine Freundschaften. In seiner Eifersucht hasste er mich, und darin waren wir uns gar nicht so unähnlich, Maurizio und ich.
    Das alles ging mir noch nach, als die Nigerianer die Stadt verlassen hatten und ich am nächsten Tag zum Leopold’s ging, um Didier seine unbenutzte Pistole zurückzugeben. Diese verworrene Stimmung, in der ich Wut und Reue zugleich empfand und die mein Denken lähmte, hing mir immer noch an, als ich vor dem Leopold’s auf Johnny Cigar traf. Und ich wurde sie auch nicht los, während ich angestrengt versuchte, mich auf Johnnys Worte zu konzentrieren.
    »Etwas ganz Schlimmes ist passiert«, sagte er. »Anand Rao hat heute Morgen Rashid getötet. Er hat ihm die Kehle durchgeschnitten. Das ist das erste Mal, Lin.«
    Ich wusste, was er meinte. Es war der erste Mord in unserem Slum. Es war das erste Mal, dass ein Bewohner des Slums an der Cuffe Parade einen anderen getötet hatte. Fünfundzwanzigtausend Menschen lebten auf diesem kleinen Areal, und sie stritten sich und zankten sich und lagen sich ständig in den Haaren, aber keiner, nicht ein einziger von ihnen hatte jemals einen anderen getötet. In diesem Moment des Schocks fiel mir plötzlich Madjid ein. Auch er war ermordet worden. Irgendwie war es mir gelungen, den Gedanken an seinen Tod aus meinem Bewusstsein zu verdrängen, doch er hatte sich langsam, aber stetig durch den Schutzschild meiner Gelassenheit gefressen. Jetzt, mit der Nachricht von Rashids Tod, brach er wieder hervor. Dieser andere Mord – Ghani hatte von Abschlachten geredet –, der Mord an dem alten Goldschmuggler, dem Mafia-Don, vermischte sich mit dem Blut, das an Anands Händen klebte. Anand, dessen Name »der Fröhliche« bedeutete. Anand, der versucht hatte, mit mir über die Sache zu reden, der an jenem Tag im Slum meine Hilfe gesucht hatte und abgewiesen worden war.
    Ich presste mir die Hände aufs Gesicht, fuhr mir durchs Haar. Das Leben auf der Straße um uns herum war so bunt und geschäftig wie immer. Die Leute im Leopold’s lachten, unterhielten sich und tranken, wie sie es meistens taten. Doch in der Welt, die Johnny und ich kannten, hatte sich etwas verändert. Die Unschuld war verloren gegangen, und nichts würde mehr so sein wie früher. Die Worte überschlugen sich in meinem Kopf, und ich hörte sie wieder und wieder. Nichts wird mehr so sein wie früher … Nichts wird mehr so sein wie früher …
    Und dann hatte ich plötzlich eine Eingebung. Es war, als hätte die Vorsehung mir eine Postkarte geschickt, die plötzlich vor meinem inneren Auge aufblitzte. Ich las Tod auf ihr. Und Wahnsinn. Und Angst. Doch sie war so verschwommen, dass ich die Einzelheiten nicht erkennen konnte. Ich wusste nicht, ob Tod und Wahnsinn mich oder andere ereilen würden. Und in gewisser Weise wollte ich es auch nicht wissen. Ich schämte mich zu sehr, ich war zu wütend und bemitleidete mich selbst zu sehr, als dass es mich interessiert hätte. Ich blinzelte, räusperte mich mühsam und trat von der Straße in das Gelächter, die Musik, das Licht.

V IERTER T EIL
     

S ECHSUNDZWANZIGSTES K APITEL
     

    D ie Inder sind die Italiener Asiens«, verkündete Didier verschmitzt grinsend. »Mit der gleichen Berechtigung könnte man natürlich auch sagen, dass die Italiener die Inder Europas sind, aber ich glaube, du verstehst, was ich meine. Die Inder haben etwas sehr Italienisches und die Italiener etwas sehr Indisches. Beide sind Madonnenvölker – sie verlangen nach einer Göttin, auch wenn ihre Religion keine zu bieten hat. In beiden Ländern ist jeder glückliche Mann ein Sänger, und jede Frau wird zur Tänzerin, wenn sie zum Laden an der Ecke geht. Essen ist für beide Völker wie Musik für den Bauch, und Musik ist Essen für das Herz. Die Sprachen von Indien und Italien machen aus

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