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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Räuber meinen Pass inspiziert und mir in die blaugrauen Augen gestarrt hatten, hießen sie uns als Waffenbrüder willkommen und luden uns zu Tee und einer Mahlzeit ein. Diese Einladung allerdings war die Geste, mit der man uns die Ehre erwies, ihnen Wegzoll zu zahlen. Zwar wollte keine der Banden sich selbst der amerikanischen Unterstützung berauben, indem sie eine Karawane angriff, die unter amerikanischem Schutz stand.Dennoch war es undenkbar, dass jemand durch ihr Gebiet zog, ohne einen Tribut zu bezahlen. Khader hatte eigens zu diesem Zweck etliche Güter auf Vorrat einpacken lassen: mit Goldfäden durchwirkte grünblau schillernde Seide, Äxte, Messer mit breiter Klinge, Nähzeug, Zeiss-Ferngläser – Khader hatte mir auch eines überreicht, das ich tagtäglich benutzte –, Lesebrillen für das Studium des Korans und schwere in Indien hergestellte Automatikarmbanduhren. Für die Klanführer gab es jeweils eine kleine Goldtafel mit dem eingravierten afghanischen Lorbeerkranz, die ein Toola, etwa zehn Gramm, wog.
    Khader hatte mit diesen räuberischen Überfällen nicht nur gerechnet, sondern sie bereits mit einkalkuliert. Wenn die formellen Höflichkeiten und die Tributverhandlungen abgeschlossen waren, vereinbarte Khader mit den Klanführern, dass unser Nachschub aufgefüllt wurde. Auch in Dörfern, die dem jeweiligen Klanführer unterstanden, bekamen wir dann problemlos Vorräte für uns und Futter für die Tiere.
    Diese Regelung war unerlässlich. Die Munition, Ersatzteile und Medikamente für die Mudjahedin waren vorrangig, weshalb wir zusätzlich nur zwei Tagesrationen Futter für die Tiere verstauen konnten, aber keine Vorräte für uns. Jeder Mann hatte eine Feldflasche mit Wasser bei sich, doch auch die war eine Notration, die für Menschen und Tiere nur sparsam eingesetzt werden sollte. An vielen Tagen mussten wir mit einem Becher Wasser und einem kleinen Stück Naan auskommen. Angetreten hatte ich diese Reise als Vegetarier, wenn auch nicht als allzu strenger. Doch meine Obst- und Gemüsediät war mir immer sehr willkommen, wenn ich sie bekommen konnte. Nachdem ich allerdings in den ersten drei Wochen unserer Reise Pferde über Berge und zugefrorene Flüsse gezerrt hatte, teilweise zitternd vor Hunger, fiel ich über das Lamm- und Ziegenfleisch her, das die Räuber uns anboten, schlug die Zähne hinein und fetzte das halb rohe Fleisch von den Knochen.
    Die Berghänge der Landschaft waren kahl, ausgedörrt von beißenden kalten Winden, doch jede noch so kleine Ebene erstrahlte in lebhaftem Grün. Blumen mit roten sternförmigen Gesichtern und andere mit himmelblauen puscheligen Köpfen blühten dort. An niedrigen struppigen Büschen mit winzigen Blättern taten sich die Ziegen gütlich, und viele der wilden Gräser mit fedrigen Hauben voll trockener Samen eigneten sich als Futter für die Pferde. Die Felsen waren mit limonengrünen Moosen und blassgrünen Flechten bewachsen. Die Wirkung dieser zarten grünfarbigen Pflanzenteppiche zwischen den welligen Krokodilsrücken der kahlen felsigen Berge war viel intensiver, als sie in einer fruchtbaren und vielfältigeren Landschaft gewesen wäre. Jede weiche grüne Grasfläche und jedes bewachsene Heideland bereitete uns Freude – eine unbewusste Reaktion auf die Farbe Grün, die für das Leben steht. Nicht selten kam es vor, dass einer der harten abgebrühten Kämpfer, die zwischen den Pferden einhertrotteten, sich bückte und ein paar Blumen pflückte, einfach um ihre Schönheit in der trockenen schwieligen Hand zu spüren.
    Mein Status als Khaders Amerikaner war nützlich, um die Reviere der Räuberbanden planmäßig zu durchqueren, doch er sorgte beim dritten und letzten Überfall auch dafür, dass wir eine Woche Zeit verloren. Um das Dorf Abdul Hamid zu meiden, führte Habib uns durch eine schmale Schlucht, in der maximal vier Pferde nebeneinander reiten konnten. Steile Felswände erhoben sich an beiden Seiten, und erst nach einem Kilometer weitete sich die Schlucht zu einem breiteren Tal. Diese Stelle war ideal für einen Hinterhalt, weshalb Khader die Kolonne auch mit erhobener Fahne anführte.
    Wir waren erst etwa hundert Meter weit in der Schlucht vorangeritten, als von hoch oben ein schrilles Geheul zu vernehmen war – Männerstimmen, die das hohe Klagegeheul von Stammesfrauen imitierten –, und eine kleine Steinlawine löste sich von den Hängen und stürzte vor uns in die Schlucht. Wie die anderen, wandte ich mich im Sattel um und stellte

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