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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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zum Überholen beschleunigte, kreischte er panisch. Beim Abbiegen lehnte er sich nicht mit mir in die Kurve, sondern in die Gegenrichtung. An jeder Ampel stellte er die Füße auf den Boden, dehnte seine Beine und beklagte sich über Krämpfe in der Hüfte. Wenn ich beschleunigte, ließ er die Füße am Boden schleifen und zappelte sekundenlang herum, bis er die Fußstützen gefunden hatte. Und sobald uns Taxis oder andere Autos zu nahe kamen, trat er nach ihnen oder drohte den Fahrern wutentbrannt mit der Faust. Als wir unser Ziel erreicht hatten, kam ich zu dem Schluss, dass eine halbstündige Motorradfahrt mit Didier in dichtem Verkehr in etwa so lebensgefährlich war wie ein Monat unter Feindesbeschuss in Afghanistan.
    Ich hielt vor dem Fabrikgebäude, in dem die Werkstatt meiner Freunde aus Sri Lanka, Villu und Krishna, untergebracht war. Irgendetwas stimmte nicht. Die Schilder waren nicht mehr dieselben, und das Tor stand offen. Ich stieg die Stufen hinauf, warf einen Blick in die Halle und stellte fest, dass die Fälscherwerkstatt verschwunden war. Stattdessen wurden an einem Fließband Blumengirlanden hergestellt.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte Didier, als ich aufs Motorrad stieg.
    »Ja. Wir müssen noch woanders hin. Sie haben die Werkstatt verlegt. Ich muss zu Abdul und ihn danach fragen.«
    »Alors«, klagte Didier und klammerte sich so fest an mich, als hingen wir gemeinsam an einem Fallschirm. »Der Albtraum geht weiter!«
    Wenige Minuten später hielt ich vor Abdul Ghanis Villa und überließ das Motorrad Didiers Obhut. Der Wachmann am Eingang erkannte mich und riss in theatralischer Geste die Hand zum Gruß hoch. Als er mir die Tür öffnete, drückte ich ihm einen Zwanzig-Rupien-Schein in die Hand und trat in die kühle schattige Eingangshalle, wo ich von zwei Bediensteten begrüßt wurde. Auch diese beiden Männer kannten mich und gingen mit mir nach oben, wobei sie mit breitem Lächeln und lebhaften Gesten meine langen Haare und meine Magerkeit kommentierten. Einer der beiden klopfte an die Tür von Abdul Ghanis großem Arbeitszimmer und horchte dann.
    »Ao!«, rief Ghani von drinnen. Herein! Der Diener betrat das Zimmer, schloss die Tür hinter sich und kam kurz danach wieder heraus. Er wiegte den Kopf und trat beiseite. Ich ging hinein, und die Tür schloss sich hinter mir.
    In den hohen Bogenfenstern glitzerte die Sonne. Spitze krallenartige Schatten zeichneten sich auf dem polierten Boden ab. Abdul saß in einem Ohrensessel mit Blick zum Fenster, und ich sah nur seine aufeinander gelegten dicklichen Hände, die mich an Würste im Schaufenster eines Schlachters erinnerten.
    »Es ist also wahr.«
    »Was?«, fragte ich und trat vor den Sessel, um Ghani anzusehen. Es war erschütternd, wie rapide Khaders alter Freund in den vergangenen neun Monaten gealtert war. Sein dichtes Haar war weißgrau geworden, seine Augenbrauen wirkten wie mit Silber bedeckt. Tiefe Falten zogen sich von seiner feinen Nase bis zu seinem schlaffen Kinn. Seine Lippen, einst die üppigsten und sinnlichsten, die ich je in Bombay gesehen hatte, waren so rissig und aufgeplatzt, als habe auch er in Schnee und Eis in den Bergen gelebt. Die Tränensäcke unter seinen Augen reichten bis über die Wangenknochen, was mich an den grauenhaften Habib erinnerte. Und die Augen – diese lachenden bernsteinfarbenen Augen – waren stumpf. Alle eitlen Gelüste, alle ausschweifenden Genüsse seines leidenschaftlichen Lebens waren aus ihnen gewichen.
    »Du bist hier«, antwortete er mit seinem vertrauten Oxford-Akzent, ohne mich anzusehen. »Das ist die Wahrheit. Wo ist Khader?«
    »Abdul, es tut mir leid – er ist tot«, antwortete ich ohne Umschweife. »Er … er wurde von den Russen getötet. Auf dem Rückweg nach Chaman, bei einem Abstecher zu seinem Dorf, dem er Pferde überbringen wollte.«
    Abdul griff sich an die Brust und schluchzte wie ein Kind, stöhnte und klagte, während ihm dicke Tränen aus den Augen quollen. Nach einigen Momenten fasste er sich und sah zu mir auf.
    »Wer hat noch überlebt außer dir?«, murmelte er undeutlich.
    »Nasir … und Mahmud. Und ein Junge namens Ala-ud-Din. Nur wir vier.«
    »Und Khaled? Wo ist Khaled?«
    »Er … er ist am letzten Abend in die Dunkelheit gegangen und nie mehr zurückgekommen. Die Männer sagten, sie hätten später aus weiter Entfernung Schüsse gehört. Ich weiß nicht, ob auf Khaled geschossen wurde. Ich … ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.«
    »Dann wird es Nasir

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