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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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laut, streckte mir die Hand durchs Fenster zum Gruß hin und gab dann Gas.
    Ich ging neben den Autos auf der Straße weiter, um die vollgestopften Fußwege zu meiden, und atmete tief ein, um den Gestank des Zählraums loszuwerden. Ich wollte nach Colaba, ins Leopold’s, um Didier zu treffen, und war zu Fuß unterwegs, weil ich diesen Teil der Stadt am meisten liebte. Die Arbeit für den Salman-Klan brachte mich in jede entlegene Gegend der großen Stadt, von Mahalaxmi bis Malad, von Conton Green bis Thana, von Santa Cruz und Andheri bis zum Lakes District an der Film City Road. Überall ließen sich Geschäfte machen, doch wirkliche Macht hatte der Klan auf der langen Halbinsel, die in der geschwungenen Kurve des Marine Drive begann und der Sichel bis zum World Trade Center folgte. Und hier, in diesen lebhaften Straßen, nur ein paar Bushaltestellen vom Meer entfernt, hatte ich mein Herz an die Stadt verloren und sie lieben gelernt.
    Es war heiß auf der Straße, so heiß, dass selbst in geplagten Seelen nur die verborgensten Gedanken bestehen konnten. Wie jeder Einwohner von Bombay, jeder Mumbaier, hatte ich diese Strecke von der Flora Fountain zum Causeway unzählige Male zurückgelegt, und wie sie wusste ich, wo man unterwegs eine kühle Brise und erfrischenden Schatten finden konnte. Meine Kopfhaut, mein Gesicht und mein Hemd waren schweißnass, sobald ich mich einige Sekunden in der Sonne aufhielt – die Taufe bei jedem Spaziergang im Tageslicht –, und trockneten sofort wieder in Wind und Schatten.
    Als ich mich zwischen den Autos und den stöbernden Passanten hindurchwand, dachte ich über meine Zukunft nach. Unsinnigerweise empfand ich gerade jetzt, da ich ins Herz der Stadt aufgenommen wurde, den heftigen Drang, sie zu verlassen. Ich verstand den Ursprung dieser beiden Kräfte, so widersprüchlich sie auch waren. So vieles, was ich an Bombay liebte, hatte ich in den Herzen und Gedanken und Worten von Menschen gefunden – von Karla, Prabaker, Khaderbhai und Khaled Ansari. Auf die eine oder andere Art waren sie alle verschwunden, doch allen Straßen, heiligen Stätten, Küstenstreifen, die ich liebte, wohnte nun ein wehmütiger Geist inne. Aber es gab auch neue Quellen der Inspiration und Liebe – Neuanfänge auf den Brachen des Verlustes und der Enttäuschung. Meine Stellung im Salman-Klan war gesichert. In der Bollywood-Filmindustrie und den neueren Bereichen Fernsehen und Multimedia wurden mir ständig interessante Angebote gemacht. Ich hatte eine schöne Wohnung mit Blick auf die Haji-Ali-Moschee und viel Geld. Und von Abend zu Abend wurden meine Gefühle für Lisa Carter inniger.
    Die Wehmut, die ich an all meinen Lieblingsorten der Stadt spürte, drängte mich, sie zu verlassen, während zugleich neue Liebe und neue Bindungen mich mehr in ihr Herz zogen. Und auch auf diesem langen Weg von der Flora Fountain zum Causeway gelang es mir nicht, Klarheit zu finden. Sosehr ich mir auch die Mühen der Vergangenheit und die Belastungen der Gegenwart vor Augen hielt – ich konnte einfach nicht zuversichtlich in die Zukunft blicken. Ich war mir sicher, dass etwas fehlte: irgendein Plan, ein Hinweis, ein Ausblick auf mein Leben, woraus ich eine Einsicht gewinnen konnte, doch ich kam nicht dahinter, was genau das sein könnte. Und so ließ ich meine Gedanken in der heißen Luft dahindriften, während ich mich durch das Getümmel aus Autos, Motorrädern, Bussen, Lastern, Handkarren und zahllosen Menschen wand.
    »Lin!«, rief Didier, als ich durch den Torbogen des Leopold’s trat und auf eine lange Reihe zusammengestellter Tische zusteuerte. »Frisch vom Training, non ?«
    »Nein, ich bin spazieren gegangen. Hab nachgedacht. Eher Training für den Geist – und für die Seele vielleicht.«
    »Fürchte dich nicht!«, verkündete er und winkte den Kellner herbei. »Ich kuriere derlei Anfälle tagtäglich. Oder jedenfalls allabendlich. Mach Platz, Arturo. Rutsch ein Stück beiseite, damit Lin sich zu mir setzen kann.«
    Arturo, ein junger Italiener, der sich vor einem ungelösten Problem mit der Polizei von Neapel nach Bombay geflüchtet hatte, war Didiers neuester Schwarm: ein kleiner, zart gebauter Mann mit einem puppenhaften Gesicht, um das ihn manches Mädchen beneidet hätte. Er sprach kaum Englisch und reagierte auf jede Ansprache, so freundlich sie auch sein mochte, mit einer Mischung aus Trotz und Indigniertheit. Deshalb wurde er von Didiers Freunden, die sich zu fragen begannen, ob diese Beziehung ein

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