Shantaram

angestrengt nachdachte und dabei die Stirn runzelte.
    »Okay«, willigte er schließlich ein.
    »Scheiße, was soll das!«, explodierte Andrew. »Er darf mit, aber ich muss den Babysitter spielen?«
    »Reg dich nicht auf, Andrew«, sagte Farid beruhigend.
    »Nein, echt, ich scheiß auf den! Ich hab die Schnauze voll von diesem Scheißgora, Mann. Es ist mir scheißegal, ob Khader ihn mochte und ob er in Afghanistan war. Khader ist tot, yaar. Khaders Zeit ist vorbei.«
    »Entspann dich, Mann«, mischte sich Amir ein.
    »Wieso soll ich mich entspannen, zum Teufel? Ich scheiß auf Khader und auch auf seinen Gora!«
    »Du solltest aufpassen, was du sagst«, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Ach ja?«, fragte er und reckte angriffslustig den Kopf vor. »Okay, deine Schwester ist eine Hure! Was sagst du jetzt? Findest du das besser?«
    »Ich habe keine Schwester«, erwiderte ich ruhig auf Hindi. Einige der Männer lachten.
    »Dann ist eben deine Mutter eine Hure«, versetzte er, »und ich werd sie ficken, damit du eine Schwester kriegst!«
    »Das reicht«, grollte ich und stellte mich in Kampfposition. »Hoch mit deinen verfluchten Fäusten! Lass sehen!«
    Es wäre chaotisch geworden. Ich war kein besonders guter Boxer, aber ich hatte einige Erfahrung und konnte hart zuschlagen. Und wenn ich in jenen Jahren in die Klemme geriet, zögerte ich auch nicht, jemandem mein Messer in die Rippen zu rammen. Andrew war schnell und mit der Pistole in der Hand tödlich. Als Amir sich hinter seiner rechten Schulter in Position stellte, trat Abdullah hinter mich. Ein Kampf zwischen uns wäre in eine Gruppenschlägerei ausgeartet, das wussten wir alle. Doch der junge Mann aus Goa hob die Fäuste nicht, und als aus einer Sekunde fünf und zehn und fünfzehn wurden, zeigte sich, dass er mit seinen Fäusten offenbar weniger voreilig war als mit seinem Mund.
    Nasir löste die Situation auf, indem er sich zwischen uns drängte und Andrew am Handgelenk packte. Ich kannte diesen Griff gut. Ich wusste, dass Andrew den stämmigen Afghanen umbringen müsste, wenn er sich aus diesem Griff lösen wollte. Nasir hielt noch einen Moment inne und warf mir einen rätselhaften Blick zu, in dem ich ebenso viel Tadel wie Stolz und ebenso viel Zorn wie Zuneigung las. Dann schob er den jungen Goaner rückwärts zwischen den anderen hindurch zum Auto, stieß ihn auf den Fahrersitz und setzte sich mit Tariq auf die Rückbank. Andrew startete den Motor, und der Wagen raste in einer Wolke aus Staub und Schotter davon in Richtung Marine Drive. Als er an mir vorbeischoss, sah ich Tariqs Gesicht durchs Fenster. Es war bleich, und nur die Augen gaben, Spuren wilder Tiere im Schnee gleich, eine Ahnung von seinen Gefühlen preis.
    »Mai jata hu«, wiederholte ich, als der Wagen davonschoss. Ich geh jetzt. Alle lachten, und ich fragte mich, ob sie sich über meinen entschlossenen Tonfall oder die lakonische Bemerkung auf Hindi amüsierten.
    »Ich glaube, wir haben dich verstanden, Lin«, sagte Salman. »Du hast dich ja sehr klar ausgedrückt, na ? Gut, du und Abdullah, ihr übernehmt die Rückseite des Hauses. Hinter Chuhas Haus verläuft eine Gasse – du kennst sie, Abdullah. Die Gasse ist mit zwei anderen verbunden, von denen eine zur Hauptstraße und eine um die Ecke zu anderen Häusern führt. Hinter Chuhas Haus ist ein Garten, und an der Rückseite gibt es zwei vergitterte Fenster und nur eine Tür zum Haus, die über zwei Stufen nach unten zu erreichen ist. Da bezieht ihr zwei Stellung. Sobald wir loslegen, kommt keiner mehr da rein. Wenn alles richtig läuft, werden einige versuchen, durch diese Tür zu flüchten. Ihr haltet sie auf, sofort. Wir anderen gelangen durch die Vordertür ins Haus. Wie sieht’s mit Waffen aus, Faisal?«
    »Sieben«, antwortete er. »Zwei kurzläufige Schrotflinten, zwei Pistolen, drei Revolver.«
    »Gib mir eine von den Pistolen«, wies Salman ihn an. »Abdullah, du nimmst die andere. Ihr müsst sie euch teilen, Lin. Die Schrotflinten nutzen uns nichts in den Innenräumen – ist zu eng, und wir wollen wissen, wo wir hin schießen. Die werden auf der Straße eingesetzt, um uns da den Rücken freizuhalten, falls es nötig sein sollte. Faisal, nimm du die Schrotflinten und gib eine davon Hussein. Wenn wir fertig sind, nehmen wir den Hinterausgang. Wir werden nicht vorne rausgehen. Ihr durchlöchert also alles, was da hinten rein oder raus will, während wir im Haus sind. Die drei Revolver sind für Farid, Amir und Mahmud.