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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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mit Touristen verdient – alle sechs Monate zu seinen Eltern fährt. Aber ich bin der erste Ausländer, den er jemals eingeladen hat mitzukommen.«
    Sie zwinkerte mir zu, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
    »Vielleicht bist du nicht der Erste, dem er das angeboten hat. Sondern nur der Erste, der verrückt genug ist, sich darauf einzulassen. Aber das bleibt sich gleich.«
    »Findest du es verrückt, seine Einladung anzunehmen?«
    »Nein, gar nicht! Oder auf die richtige Weise verrückt – so wie wir alle sind. Wo liegt das Dorf?«
    »Ich weiß nicht genau. Irgendwo im Norden. Er hat gesagt, dass wir erst mit dem Zug und dann mit zwei Bussen fahren müssen.«
    »Didier hat recht. Du solltest das machen. Wenn du wirklich hier in Bombay bleiben willst, wie du sagst, dann solltest du eine Weile in einem Dorf leben. Das Dorf ist tatsächlich der Schlüssel zur Stadt.«
    Ein Kellner nahm im Vorbeigehen unsere letzte Bestellung auf und brachte wenig später ein Bananen-Lassi für Karla und einen Chai für mich.
    »Wie lange hat es gedauert, bis du dich hier zu Hause gefühlt hast, Karla? Du wirkst so entspannt, so ganz in deinem Element. Als wärst du schon immer hier.«
    »Ach, ich weiß nicht. Bombay ist einfach der richtige Ort für mich, wenn du verstehst, was ich meine, und das habe ich sofort gespürt, gleich am ersten Tag, in der allerersten Stunde hier. Wenn du so willst, habe ich mich also von Anfang an zu Hause gefühlt.«
    »Komisch, dass du das sagst. Mir geht es nämlich auch so. Ich war noch keine Stunde hier, da hatte ich schon das intensive Gefühl, dass ich hier am richtigen Ort bin.«
    »Ich glaube, der wirkliche Durchbruch kam für mich mit der Sprache. Als ich anfing, auf Hindi zu träumen, wusste ich, dass ich angekommen war. Und seither fügt sich eins zum anderen.«
    »Und ist es das für dich? Willst du für immer hierbleiben?«
    »›Für immer‹ gibt es nicht«, antwortete sie auf ihre langsame, bedächtige Weise. »Ich weiß nicht, warum wir diesen Ausdruck überhaupt verwenden.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Ja, sicher. Sagen wir es so: Ich werde so lange hierbleiben, bis ich bekommen habe, was ich will. Und dann gehe ich vielleicht woanders hin.«
    »Und was willst du, Karla?«
    Sie runzelte konzentriert die Stirn, richtete den Blick auf mich und sah mir direkt in die Augen. Dieser Gesichtsausdruck sollte mir sehr vertraut werden – er schien zu sagen: Wenn du diese Frage stellen musst, hast du kein Recht auf die Antwort.
    »Ich will alles«, antwortete sie mit einem leisen ironischen Lächeln. »Das hab ich mal zu einem Freund gesagt. Der mir dann erklärt hat, dass der wahre Trick im Leben darin besteht, nichts zu wollen. Und genau das zu bekommen.«
    Später, als wir die Menschenmassen auf dem Causeway und der Strand Street hinter uns gelassen hatten und eine Weile unter den Bäumen in den Straßen hinter dem Colaba Market entlangspaziert waren, der jetzt in nächtlicher Stille lag, setzten wir uns in der Nähe von Karlas Wohnung auf eine Bank unter einer hohen alte Ulme.
    »Im Grunde ist es ein Paradigmenwechsel«, versuchte ich einen Gedanken auszuführen, den ich bereits während des Spaziergangs geäußert hatte. »Eine vollkommen andere Art, die Dinge zu sehen und an sie heranzugehen.«
    »Stimmt. Genauso ist es.«
    »Prabaker hat mich zu einer Art Hospiz mitgenommen, einem ehemaligen Mietshaus neben dem St. George Hospital. Es war voller kranker und sterbender Menschen, denen man ein Stück Fußboden zugewiesen hatte, auf dem sie liegen und sterben konnten. Der Besitzer dieses Hauses, der als eine Art Heiliger gilt, ist durch die Reihen der Sterbenden gegangen und hat ihnen Schilder angeheftet, auf denen stand, wie viele verwertbare Organe jeder Einzelne hat. Dieses Hospiz, in dem lebende Menschen liegen, ist nichts anderes als eine riesige Organbank. Die Leute, die dorthin kommen, bezahlen für das Privileg, ein ruhiges, sauberes Fleckchen zum Sterben zu haben, indem sie diesem Typen ihre Organe zur Verfügung stellen. Es war unfassbar, wie dankbar ihm die Leute waren. Sie verehren diesen Mann. Sie haben ihn angesehen, als liebten sie ihn.«
    »Er hat dich in den letzten zwei Wochen ganz schön rangenommen, dein Freund Prabaker, hm?«
    »Na ja – das war bei Weitem nicht das Schlimmste. Das größte Problem ist, dass man nichts tun kann. Man sieht Kinder, die … denen es wirklich dreckig geht, man erlebt die Leute in den Slums – er hat mich in den Slum mitgenommen, in

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