Shaos Todeswelt
jetzt allerdings für eine innere Unruhe bei ihr sorgte. Nervös ging sie in ihrem Büro auf und ab.
Der Sommer war in diesem Jahr kein Sommer. Wenn sie aus dem Fenster schaute, sah es wieder nach Regen aus. Ein dunkles Grau verteilte sich auf dem Himmel. Es hatte in diesem Sommer noch keinen Tag gegeben, an dem es nicht geregnet hatte. Aber das tat den Talsperren und dem Grundwasserspiegel gut, denn die letzten Jahre waren doch recht trocken gewesen.
Glenda ärgerte sich über ihre eigenen Gedanken. Vielleicht hatte sie sich auch nur ablenken wollen, um den anderen Problemen nicht zu nahe zu kommen.
Dann war die Zeit vorbei.
Handeln! Den leichten Mantel überziehen, das Büro und das Haus verlassen und zu Shao fahren. Wenn sie nicht in der Wohnung war, wollte sie dort auf sie warten.
Normale Dinge, nichts Außergewöhnliches. In diesem Fall schon sehr bedrückend für Glenda, denn alles lief hier außerhalb der Norm, und das war sie nicht gewöhnt.
Sie räumte noch auf, obwohl es nichts aufzuräumen gab. Sie war nervös, fahrig sogar. Sie streifte den Mantel über. Wenn sich jetzt das Telefon gemeldet hätte, wäre sie froh über die Ablenkung gewesen. Dann wäre sie nicht gegangen. Diesmal tat ihr der Apparat den Gefallen nicht. Er blieb still.
Still wie die Umgebung. Die Tür zum anderen Büro stand offen. Niemand hielt sich dort auf. John und Suko waren oft unterwegs, wobei Glenda die Stellung hielt. Nur war es ihr eigentlich noch nie so direkt vorgekommen wie heute.
»Okay«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Ich ziehe das durch und lasse mich von keinem abhalten. Fs wird schon klappen. Und wenn ich bei Shao bin, werde ich Suko über sein Handy erreichen können und ihm erklären, dass alles in Ordnung ist.«
Mit diesem Vorsatz konnte Glenda Perkins besser leben. Sie lächelte wieder, als sie ihr Büro endlich verließ und mit dem Lift nach unten fuhr.
Sie grüßte zwar wie immer, aber sie war an diesem Tag nicht so locker wie sonst. Auch ihr Lächeln wirkte verkrampft, denn den Druck konnte sie einfach nicht überspielen.
In der rechten Manteltasche steckte der Schlüssel zu Sukos und Shaos gemeinsamer Wohnung. Glenda wollte ihn nur im Notfall einsetzen.
Auch in der U-Bahn wirkte sie wie geistesabwesend. Da allerdings fiel sie nicht weiter auf, denn auch die anderen Mitfahrer blickten oft stoisch ins Leere.
Glenda dachte an die CD-ROM. Es war nicht ihre Welt, das gab sie zu. Aber auch sie hatte schon Erfahrungen der negativen Art damit sammeln können, denn vor einiger Zeit hatte es den Fall um einen CD-ROM-Vampir gegeben, und daran hatte Glenda immer denken müssen. Es war damals eine sehr böse Sache gewesen. So konnte sie nur hoffen, dass Shao nicht auch in so etwas hineingerutscht war, wo sie doch so etwas wie eine Expertin am Computer war.
In der U-Bahn roch es nach Menschen, nach Schweiß und Parfüm. Glenda hatte schon mehrmals die Nase gerümpft und war sicherlich froh, das Ziel endlich erreicht zu haben.
Zusammen mit anderen Menschen ließ sie sich an die Oberfläche spülen. Die beiden Hochhäuser in Sichtweite waren identisch. In einem von ihnen wohnten John, Suko und Shao, wobei sich letztere eine Wohnung teilten.
Glenda ging schnell. Sie wollte so rasch wie möglich Gewissheit haben, und der Hausmeister würde sie auch zu den Wohnungen lassen, denn sie war hier bekannt.
Sie traf ihn vor dem Haus, wo er mit zwei Mieterinnen zusammenstand und schäkerte. Als er Glenda sah, entschuldigte er sich bei den Frauen und ging auf Glenda zu. »Miss Perkins«, erklärte er, und sein Gesicht strahlte dabei. »Das ist aber eine Überraschung! Sie habe ich lange nicht mehr gesehen. Wie geht es Ihnen?«
»Nicht schlecht.«
»Das hört man gern. Wenn Sie zu Mr. Sinclair wollen, dann muss ich Ihnen sagen, dass er nicht in seiner Wohnung ist. Zumindest habe ich ihn nicht zurückkommen sehen.«
»Das weiß ich. Er ist aber nicht der Grund meines Besuches.«
»Ich etwa?« versuchte der Hausmeister zu scherzen.
»Nein. Ich möchte zu Shao.«
Der Hausmeister zeigte Glenda überflüssigerweise den Weg und begleitete sie in das Haus. »Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, Miss Perkins, lassen Sie es mich wissen.«
»Mach ich glatt.«
Glenda ging zu den Fahrstühlen und wartete, bis eine Kabine kam. Ihr ungutes Gefühl war nicht verschwunden. Es hatte sich sogar noch verstärkt. Im Inneren spürte sie den Druck, der ihren Magen leicht umklammerte. Dass auf den Händen Schweiß klebte, war
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