Shaos Todeswelt
ebenfalls nicht normal. Einige Male schüttelte Glenda über sich selbst den Kopf.
Nachdem sie den Lift verlassen hatte und in den Gang getreten war, den sie so gut kannte, hätte das Gefühl eigentlich weichen müssen. Das war aber nicht der Fall. Es blieb. Es verdichtete sich sogar. Der Flur machte auf sie einen fremden, beinahe schon feindlichen Eindruck, als hätte sie ihn zum ersten Mal betreten.
Zudem war er menschenleer. Auch normal um diese Zeit. Aber Glenda sah an diesem Tag eben alles mit anderen Augen. Vor der Tür zu Shaos Wohnung blieb sie stehen. Sie sah den Klingelknopf. Einfach nur die Hand ausstrecken, den Knopf drücken - Shao würde öffnen und sie begrüßen. Das war alles.
Glenda schellte, doch Shao öffnete nicht.
Glenda gab ihr noch eine zweite und auch eine dritte Chance, dann wusste sie Bescheid. Sie schnaufte, als sie den Schlüssel hervorholte, um die Wohnungstür zu öffnen.
Es passte ihr überhaupt nicht. Ihr war nicht wohl bei der Sache. Obgleich sie Shao und Suko sehr gut kannte, war ihre Wohnung so etwas wie ein Tabu. Zu privat, zu persönlich, um sich dort einfach umzuschauen. Über ihren Rücken glitt ein Schauer. Nein, wie eine Diebin kam sie sich nicht vor, eher wie jemand, der sich für eine bestimmte Tat entschuldigen wollte, und irgendwie schaffte sie das auch, wobei sie mehr zu sich selbst sprach.
Dann war die Tür offen.
Glenda zog den Schlüssel wieder hervor. Sie blieb auf der Schwelle zunächst stehen, um in die Wohnung hineinzuhorchen. Wenn Shao nicht geöffnet hatte, musste das nicht heißen, dass sie nicht doch da war. Vielleicht schlief sie oder war anderweitig beschäftigt gewesen. Im Bad oder auf der Toilette.
»Shao!« Glenda hatte ziemlich laut gerufen. Der Name klang aus, doch eine Antwort erhielt sie nicht.
Also war Shao nicht zu Hause. Mal eben weggegangen. Einkaufen. Hatte unterwegs jemanden getroffen, war aufgehalten worden, plauschte mit einer Bekannten oder…
All diese Normalitäten lagen auf der Hand, konnten Glenda aber nicht zufriedenstellen. Alles war ihr hier bekannt. Diesmal fühlte sie sich aber sehr fremd.
Sie betrat den Flur. Die Tür schloss sie leise. Den Mantel legte sie ab und hängte ihn an die Garderobe. Wieder versuchte sie es mit einem halblauten Ruf. Keine Reaktion.
Glenda betrachtete sich im Spiegel. Sie trug eine blaue Jeansbluse mit Stickereien auf der Vorderseite, dazu einen Jeansrock mit einer Leiste aus hellen Knöpfen an der Vorderseite und eine rehbraune Weste. Die Schuhe wiederholten diese beiden Farben. Die Absätze waren recht flach. Glenda konnte fast lautlos darin gehen.
Der erste Weg führte sie in den Wohnraum. Ein schneller Blick, das Zimmer war leer.
Aber es wirkte nicht verlassen. Zwar hielt sich niemand in den vier Wänden auf, aber Shao hatte ihren PC nicht ausgeschaltet. Das war schon rätselhaft. Es passte auch irgendwie zu ihren Verdachtsmomenten. Da lief einiges zusammen.
Sie ging weiter. Ihr Ziel war der Computer. Allerdings schaute sie sich auch um, weil sie einfach den Findruck hatte, nicht mehr allein zu sein. Sie fühlte sich beobachtet. Wie von unsichtbaren Augen unter Kontrolle gehalten.
Sosehr sich Glenda auch anstrengte, zu sehen war nichts. Keine Beobachter, keine Feinde. Es blieb so ruhig, wie es nur in einer leeren Wohnung sein konnte.
Es passte ihr zwar nicht so recht, trotzdem warf sie noch einen Blick in das Schlafzimmer. Leer.
Sie war zufrieden, aufatmen konnte sie allerdings nicht. Danach inspizierte sie die Küche. Anschließend war das Bad an der Reihe, und auch dort hatte sie Pech.
Glenda Perkins musste sich eingestehen, dass sie sich tatsächlich allein in der Wohnung aufhielt. So etwas war nicht unnormal. Beinahe jeder Mensch verlässt im Laufe des Tages seine Wohnung irgendwann einmal, um Einkäufe zu tätigen, aber hier wollte Glenda Perkins nicht an eine Normalität glauben.
Das sagte ihr einfach ihr Gefühl. Ihr Verdacht erhärtete sich, obwohl sie überhaupt keine Punkte sah, wo sie den Hebel ansetzen konnte. Der einzige Hinweis war der noch nicht ausgeschaltete Computer, auf dessen Monitor sie das Bild sah.
Glenda Perkins näherte sich dem Gerät. Auch jetzt schlich sie wie eine Diebin. Das Unwohlsein hatte sich noch nicht verflüchtigt. Mit jedem Schritt, der sie dem Ziel näher brachte, spürte sie die wachsende Spannung. Es war nicht unbedingt ein helles Bild. Das hier setzte sich aus düsteren Farben zusammen, wobei die Farbe Braun überwog.
Der Stuhl vor dem
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