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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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Priesterinnen des Bären in scharlachroten Mänteln, geschmückt mit schwerem, barbarischem Geschmeide – Halsbänder aus Ziltat und Penapa, eingelegte Bronzegürtel und massenhaft geschnitzte Holzringe, die so dick waren, daß die Finger ihrer gefalteten Hände auseinandergedrückt wurden. Sie hatten die ernsten Gesichter von Bauernmädchen, die nichts von vornehmer Haltung wußten und an das beengte Leben mühseliger Tagesarbeit gewöhnt waren, dennoch benahmen sie sich mit ernster Würde, in sich gekehrt und gleichgültig gegen die starrende Menge zu beiden Seiten. In ihrer Mitte schritt die einsame Gestalt des Priesterkönigs.
    Mollo hatte erwartet, daß der König – entweder in einer Sänfte oder auf einem Sessel – getragen oder in einem Wagen, vielleicht von Ochsen mit Schabracken und vergoldeten Hörnern, gezogen werden würde. Dieser Mangel an Aufwand, dieser König, der durch den Staub des Marktplatzes schritt, der zur Seite trat, um einem auf seinem Weg liegenden zusammengerollten Seil auszuweichen, und gleich darauf, durch einen von einem Wassereimer gespiegelten Lichtstrahl geblendet, den Kopf abwandte, kam für ihn überraschend. In seiner Neugier stieg er unsicher auf den Sockel der nächsten Säule und starrte über die Köpfe der vorbeiziehenden Soldaten.
    Die Schleppe des langen blauen und grünen Mantels wurde hinter dem König von zwei Priesterinnen getragen. Auf jedem blauen Teil war der Bärenkopf in Gold und auf jedem grünen das Symbol der Sonne als Auge mit Lid und Strahlen – das Auge Gottes – abgebildet. Sein langer Stab aus poliertem Zoanholz war mit Goldfiligran umwunden, und von den Fingern seiner Panzerhandschuhe hingen gebogene Silberklauen herab. Seine Haltung, weder die eines Herrschers noch eines Kriegers, besaß dennoch eine mysteriöse und rätselhafte Autorität, stark und asketisch, die Macht des Wüstenbewohners und Einsiedlers. Das dunkle, abgezehrte und in sich gekehrte Antlitz war das eines Mannes, der in Einsamkeit wirkt, das Gesicht eines Jägers, Dichters oder Grüblers. Er war jung, doch älter als seine Jahre, vorzeitig ergraut, mit einer Steifheit in der Bewegung eines Armes, die auf eine schlecht verheilte alte Wunde schließen ließ. Seine Augen schienen auf einen inneren Vorgang gerichtet zu sein, was ihm wenig Frieden brachte, so daß er, sogar wenn er sich umsah, dann und wann die Hand hob und die Menge ernst grüßte, gedankenverloren und fast beunruhigt wirkte, als müßten seine Gedanken in Besorgnis mit einer einsamen Angst ringen, die außerhalb der üblichen Dinge lag, mit denen sich seine Untertanen befaßten – außerhalb von Reichtum und Armut, Krankheit und Gesundheit, Appetit, Begierde und Befriedigung. Er ging wie andere Menschen im Vormittagslicht über den staubigen Marktplatz, ihn trennte jedoch von ihnen mehr als bloß die Soldaten an seiner Seite und die schweigenden Mädchen, nämlich die geheimnisvolle Berufung zu einer unnennbaren Aufgabe. Mollo betrachtete ihn, und dabei fielen ihm die Worte eines alten Liedes ein:
     
    Was rief der Stein dem Meißel zu?
    »Schlag zu, denn ich habe Angst!«
    Was sprach die Erde zum Landmann?
    »Wie glänzt sie doch, die Pflugschar!«
     
    Die letzten Soldaten verschwanden am anderen Ende des Platzes, und als der Gongschlag verklang, kam das Geschäft auf dem Markt wieder in Gang. Mollo kehrte zu Elleroth zurück, und gemeinsam gingen sie wieder zum »Grünen Hain« und nahmen ihren Platz auf der Sitzbank ein. Es war nun nur noch eine Stunde bis Mittag, und die Kneipe war schon stärker besetzt, aber wie es oft der Fall ist, steigerte es noch die Absonderung der beiden von den anderen.
    »Nun, was hältst du von dem königlichen Jungen?« fragte Elleroth.
    »Nicht das, was ich erwartet habe«, antwortete Mollo. »Er wirkte nicht wie der Herrscher eines kriegführenden Landes, meine ich.«
    »Mein lieber Freund, das kommt nur daher, daß du die dynamischen Ideen nicht verstehst, die unten am Fluß herrschen, wo alles Schilf zittert. Dort werden die Dinge dadurch bestimmt, daß man auf Hokuspokus, Schreckgespenster und, soviel ich weiß, sogar ausgesprochenen Humbug zurückgreift – die Unterscheidungsnuancen sind da recht fein, verstehst du. Manche Barbaren schlitzen Tieren den Bauch auf und beobachten Vorzeichen, die in den rauchenden Eingeweiden, yam-yam, enthüllt werden. Andere suchen den Himmel nach Vögeln oder Gewitterstürmen ab. Ebenholzwolken, mein lieber Schwan! Das sind, gewissermaßen, die

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