Shardik
ersten Gerüchte nach Ortelga drangen, glaubte ich an Shardiks Rückkehr, weil ich gesehen hatte, wie du Bel-ka-Trazets Zorn widerstandest, und es wurde mir klar, daß nur die Wahrheit dich dazu befähigen konnte. Ich war es, der Ta-Kominion riet, unter Lebensgefahr nachts den Todesgürtel zu durchqueren, um dich zu finden; und ich war der erste Baron, der sich am nächsten Morgen auf seine Seite schlug, als er hinter unserem Herrn Shardik an Land kam. Bei der Schlacht im Vorgebirge führte ich, schon bevor Ta-Kominion auf das Schlachtfeld kam, den ersten Angriff gegen Gel-Ethlins Heer. Ich habe an unserem Herrn Shardik nie gezweifelt – und zweifle auch jetzt nicht an ihm.«
»Was also nun?«
»Befreie unseren Herrn Shardik! Laß ihn frei und warte auf das, was sich dann ereignet. Vielleicht ist es nicht sein Wille, daß wir den Krieg fortführen. Vielleicht hat er eine andere, völlig davon abweichende Absicht. Wir sollten bereit sein, ihm zu vertrauen, sogar zuzugeben, daß wir seinen Willen vielleicht mißverstanden haben. Wenn wir ihn freilassen, könnte er etwas Unbekanntes enthüllen. Bist du sicher, Kelderek, daß wir nicht vielleicht seine Absicht vereiteln, indem wir ihn hier in Bekla festhalten? Ich bin zu der Ansicht gelangt, daß diese Absicht nicht die Fortsetzung des Krieges sein kann, denn sonst müßten wir jetzt schon zumindest ein Ende absehen können. Irgendwo haben wir den Faden unseres Schicksals verloren. Laß ihn frei und bete, daß er ihn uns in der Dunkelheit, durch die wir wandern, wieder in die Hand gibt.«
»Unseren Herrn Shardik freilassen?« wiederholte Kelderek. Er konnte sich nichts denken, das für die Fortsetzung seiner Herrschaft oder für das immer noch von ihm zu entdeckende göttliche Geheimnis weniger vorteilhaft wäre. Er mußte Zelda um jeden Preis von diesem übereilten, abergläubischen Gedanken abbringen, dessen Folgen unabsehbar wären. »Unseren Herrn Shardik freilassen?«
»Und ihm dann folgen, einfach im Vertrauen auf das, was sich ereignen wird. Denn wenn wir ihn wirklich enttäuscht haben, so kann es nicht am Mangel an Tapferkeit oder Entschlossenheit im Feld gelegen haben, sondern nur an zu wenig Vertrauen.«
Kelderek lag die Antwort auf der Zunge, daß die Tuginda einst so zu ihm gesprochen habe und daß Ta-Kominion gewußt habe, wie man damit fertig werden konnte. Als er zögerte und überlegte, wie er am besten mit der heiklen Aufgabe des Abratens beginnen solle, sahen beide, daß ein Diener über die Weide auf sie zugelaufen kam.
»Morgen abend ist das Frühjahrsfest der Sonnwendfeuer«, sagte Kelderek.
»Das hatte ich nicht vergessen.«
»Ich werde niemandem etwas von unserem Gespräch sagen, und wir reden nach dem Fest nochmals darüber. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
Der Diener kam heran, hob die Hand an seine vorgeneigte Stirn, wartete und suchte wieder zu Atem zu kommen.
»Sprich«, sagte Kelderek.
»O Herr, General Ged-la-Dan wird bald hier sein. Er wurde auf der Straße gesichtet und wird in einer halben Stunde beim Blauen Tor eintreffen.«
Unten in der Stadt schlugen die Gongs wieder die Stunde; wie ein Echo folgte einer dem anderen. Kelderek erkannte, daß er dem Gespräch vorläufig ein Ende bereiten konnte, wenn er den Diener bei sich behielt.
»Begleite uns«, sagte er, und als der Mann hinter sie trat, wandte er sich an Zelda: »Ich werde Ged-la-Dan mit der Priesterin Sheldra auf der Straße entgegengehen. Willst du nicht mitkommen?«
28. Elleroth deckt seine Karten auf
»Und alles, was ich besaß, in Deelguy zu lassen – «
»Nimm dich zusammen, Mollo.«
»Innerhalb ihrer verdammten Grenzen will ich nicht leben – nicht einmal zehn Tagesreisen weit von ihnen – dieser verfluchte Bärenpriester – wie heißt er nur – richtig, Kildrik…«
»Sei vernünftig, Mollo. Beruhige dich. Beim Verlassen von Deelguy hast du nicht im geringsten geahnt, daß du Gouverneur von Kabin werden könntest, und schon gar nicht mit einem Versprechen von Bekla. Du bist fortgegangen, weil du dein Familienerbe übernehmen wolltest, das hast du mir zumindest erzählt. Das hat dir keiner vorenthalten, und es geht dir um nichts schlechter als an dem Abend, an dem du mit deinem stierezüchtenden Freund bei Tisch saßest.«
»Mach dich nicht lächerlich. In Kabin weiß jedermann, daß mich General Zelda auf Empfehlung S’marrs ernannt hat. Ich hatte, bevor ich abreiste, eine lange Besprechung mit den Stadtvätern über den Anteil Kabins am
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