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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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die nicht laut vor den Ohren aller Welt, sondern leise, vielleicht sogar wortlos gegen jemanden erhoben wird, der auf das Aufwallen seiner eigenen Verwirrung, seines Schuldgefühls und seiner Reue nicht vorbereitet ist. Die Harfe von Binnorie nannte ihre Mörderin, und die beiden hübschen Mädchen in der Ballade antworteten der grausamen Mutter an der Schloßmauer ihres Vaters. Man weiß von Steinen, die sich bewegt, von Bäumen, die geredet haben. Doch Banquos Geist sprach kein Wort. Wenn auch nur wenige eines Ermordeten Leiche berührt und die Wunden aufbrechen und bluten sahen, gibt es doch viele, die beim Wiederlesen alter Briefe, die sie in Schubladen fanden, weinend um Vergebung flehten. Schwer Geschädigte brauchen, wie Geister, nicht zu ihren Bedrückern zu sprechen oder sie vor der Menge anzuklagen. Viel schrecklicher ist ihr unerwartetes und stummes Wiederauftauchen an einem einsamen Ort zu ungeschützter Stunde.
    Die Tuginda stand neben der Bank und hielt die Augen vor dem Rauch halb geschlossen. Zuerst erkannte sie ihn eine Zeitlang nicht. Dann fuhr sie zusammen und hob den Kopf. Im selben Augenblick stieß sich Kelderek mit einem plötzlichen lauten Aufschluchzen die Hand zwischen die Zähne, machte kehrt und war schon auf halbem Weg durch den Eingang, als er heftig zurückgestoßen wurde und zu Boden stürzte. Der Mann starrte, mit dem Messer in der Hand, auf ihn nieder, biß sich auf die Lippe und keuchte in einer Art wilder Erregung. Das war ein Mann, wie Kelderek in dem furchtbaren Augenblick erkannte, für den der Mord einst Geschäft und Sport zugleich gewesen sein mußte. In seinem umnebelten Geist hing Gewalt stets, gefährlich wie ein Schwert, an einem Haar; sie wurde durch Angst oder Flucht eines anderen so unkontrollierbar erregt wie eine Katze durch eine vorbeitrippelnde Maus. Dies war wohl ein am Leben gebliebener Bandit, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt war, oder ein gedungener Mörder, der für seinen Auftraggeber nicht mehr nützlich war und über den Vrako flüchtete, bevor ihn ein Denunziant anzeigen konnte. Wie viele einsame Wanderer hatte er schon in diesem Haus umgebracht?
    Der Mann beugte sich über ihn und atmete in langsamen, rhythmischen Stößen. Kelderek stützte sich auf einen Ellbogen und versuchte vergeblich, das irre Starren mit einem kühnen Blick zu erwidern. Als er die Augen senkte, sagte die Tuginda hinter ihm:
    »Beruhige dich, Ruvit! Ich kenne diesen Mann – er ist harmlos. Du darfst ihm nichts zuleide tun.«
    »Er hat sich im Wald versteckt und von dem Bären geredet. ›Der will sicher etwas anstellen‹, dachte ich, ›ich bring ihn hierher, ich sag ihm nichts, ja, so mach ich es. Dann find ich heraus, was er vorhat, find heraus, was er vorhat –‹«
    »Er wird dir nichts tun, Ruvit. Komm, fach das Feuer an, und nach dem Abendessen werde ich dir wieder die Augen waschen. Leg dein Messer weg.«
    Sie führte den Mann freundlich zum Feuer und sprach zu ihm wie zu einem Kind. Kelderek folgte ihnen, da er nicht wußte, was er sonst tun sollte. Beim Klang ihrer Stimme hatten sich seine Augen mit Tränen gefüllt, aber er wischte sie wortlos weg. Der Mann beachtete ihn nicht weiter, und er nahm auf einem wackligen Schemel Platz und sah der Tuginda zu, die beim Feuer hinkniete, um es anzufachen, einen Topf darauf stellte und mit einem zerbrochenen Spieß darin umrührte. Einmal sah sie zu ihm hinüber, doch er senkte den Blick; als er wieder hochblickte, befaßte sie sich mit einer Tonlampe, die sie zurechtstutzte und dann mit einem brennenden Zweig anzündete. Die schwache einzelne Flamme warf Schatten über den Boden und schien, als es dunkel wurde, weniger die verwahrloste Hütte zu beleuchten, als mit ihrem Rauchen und Flackern in dem durch die schlecht gebauten Wände dringenden Luftzug an die Wehrlosigkeit aller zu erinnern, welche, wie sie selbst, das Unglück hatten, allein und auffallend in diesem traurigen Landstrich zu sein.
    Sie war gealtert, fand er, und sah aus wie jemand, der unter Verlust und Enttäuschung gelitten hatte. Und doch war sie nicht ausgelöscht – ein niedergebranntes Feuer, ein vom Wintersturm entlaubter Baum. In diesem gräßlichen Raum, fern von Hilfe oder Schutz, allein mit einem Mann, der sie verraten hatte, und einem anderen, der halb irr und wahrscheinlich ein Mörder war, setzte sie ihre Autorität ruhig und sicher durch; zum Teil so erdnah wie ein schlauer, ehrlicher Bauer, wenn er mit Leuten spricht, denen er zu verstehen

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