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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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Begegnungen Fremder zu spüren ist. Wenn der Mann gern wissen wollte, wer er war, woher und warum er gekommen war, so hatte er doch offenbar nicht die Absicht, danach zu fragen; und er hatte etwas an sich, das Kelderek hemmte, seinerseits Fragen zu stellen. Das mußte wohl die übliche Art sein, wie man in diesem Land der Scham für die Vergangenheit und der Hoffnungslosigkeit für die Zukunft Bekanntschaften schloß – die Höflichkeit der Straf- und der Irrenanstalt. Dennoch waren gewisse Fragen offenbar gestattet, denn nach einiger Zeit brummte der Mann: »Schon darüber nachgedacht, was du tun willst?«
    »Noch nicht – wahrscheinlich sterben.«
    Der Mann blickte ihn scharf an, und Kelderek merkte, daß er nicht richtig geantwortet hatte. Hier waren die Menschen wie Tiere, die sich zur Wehr setzten – trotzig, bis sie zerrissen wurden. Das ganze Land war, wie eine Räuberhöhle, in Schinder und Opfer geteilt – kein Ort, in dem man von Tod sprechen durfte, nicht im Spaß und auch nicht resigniert. Verwirrt und zu müde, um es zu verbergen, sagte er:
    »Es war ein Scherz. Ich habe etwas vor, nehme aber an, es wird dir merkwürdig erscheinen. Ich suche einen Bären, der angeblich in dieser Gegend sein soll. Wenn ich ihn finden könnte – «
    Er hielt inne, denn der Mann starrte ihn mit vorgeschobenem Mund und Kinn und mit einer Mischung aus Angst und Zorn aus seinen triefenden Augen an – dem Zorn des Mannes, der alles attackiert, was er nicht versteht. Er sagte aber nichts, und nach einer Weile stotterte Kelderek: »Es – es ist wahr. Ich will dich nicht zum Narren halten – «
    »Das würde ich dir auch nicht raten«, sagte der Mann. »Dann bist du also nicht allein?«
    »So allein wie noch nie.«
    Der Mann zog sein Messer, faßte ihn am Handgelenk und zwang ihn mit vor Wut verzerrtem Gesicht auf die Knie.
    »Also, was soll’s mit dem Bären? Was hast du vor – was weißt du von der anderen – von der Frau, ha?«
    »Welche andere? Bei Gott, ich weiß nicht, was du meinst!«
    »Weißt nicht, was ich meine?«
    Kelderek schüttelte keuchend den Kopf, und nach einer Weile ließ ihn der Mann los.
    »Dann komm mit und sieh selbst; ja, komm nur mit. Und hüte dich, keine Tricks!«
    Sie gingen weiter, der Mann hielt das Messer in der Faust, und Kelderek überlegte, ob er nicht vor ihm in den Wald flüchten sollte. Nur seine Erschöpfung hinderte ihn daran, denn der Mann würde ihn wahrscheinlich verfolgen, einholen und vielleicht töten. Sie überschritten einen Kamm und stiegen steil bergab zu einem öden Tümpel. Rauch hing in den Bäumen. Eine einigermaßen gerodete Stelle am Ufer war übersät mit Knochen, Federn und anderem Abfall. Auf der einen Seite stand, auch am Wasser, ein schiefer Schuppen ohne Rauchfang aus Pfosten, Zweigen und Lehm. Es gab ganze Wolken von Fliegen. Ein paar Häute waren zum Trocknen über Pflöcke gespannt, und in einem Holzpferch auf dem sumpfigen Boden saßen einige schwarze Vögel – Raben oder Krähen – zusammengedrängt. Die Stätte wirkte, wie ein Lied auf verstimmten Instrumenten, als eine Beleidigung gegen die Welt, für die es nur eine Abhilfe gab: Zerstörung.
    Der Mann faßte wieder Keldereks Handgelenk und führte ihn halb, halb zog er ihn zu der Hütte. Über dem Eingang hing ein Vorhang aus staubigen Fellen. Der Mann drehte den Kopf mit einem Ruck und machte eine Bewegung mit dem Messer, aber Kelderek, benommen von Müdigkeit, Angst und Widerwillen, begriff nicht, daß er als erster eintreten sollte. Der Mann faßte ihn an der Schulter und versetzte ihm einen Stoß, so daß er gegen den Vorhang taumelte. Er schob ihn zur Seite, senkte den Kopf und trat ein.
    Die Wände umschlossen einen einzigen, übelriechenden Raum, an dessen anderem Ende ein Feuer schwelte. Es gab wenig Licht, denn außer dem Eingang mit dem Vorhang und einem Loch im Dach, durch das ein Teil des Rauchs entwich, gab es keine Öffnung; er erkannte aber am anderen Ende eine menschliche Gestalt in einem Mantel, die mit dem Rücken zu ihm auf einer groben Bank neben dem Feuer saß. Als er sich vorneigte und dem Messer in seinem Rücken auswich, erhob sich die Gestalt und wandte sich ihm zu. Es war die Tuginda.
     

40. Ruvit
     
    Plötzlich konfrontiert zu werden mit einer schändlichen Tat aus der Vergangenheit, einer Tat, die noch nicht gesühnt ist; unerwartet über eine Anklage stolpern, der keine gespielte Tapferkeit zu trotzen und die keine gewandte Zunge abzuwenden vermag; eine Beschuldigung,

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