Shardik
behindert durch einige Steine, in beide Richtungen und wurde an den Rändern zu einem bloßen Rinnsal, das über die rauhe, ebene Oberfläche rieselte. Von da sickerte und tröpfelte und plätscherte es über eine Terrasse nach der anderen hinunter und verteilte sich allenthalben dünn wie Regen auf einem Steildach. Das war die Ursache für das Glänzen der Terrassen im Sternenlicht und für die zarten, moussierenden Geräusche rundum wie von Myriaden Heidekraut im Moor oder Grillen auf einer Wiese.
Dem staunenden Kelderek wurde klar, daß dieser weite Platz künstlich angelegt war. Zitternd – vor ehrfürchtiger Scheu, nicht aber vor Angst – stand er dort, erfüllt von einer Art wilder und überschwenglicher Freude wie beim Tanz oder bei Festen, ihm schien, als schwebe er über seiner Erschöpfung und über dem Schmerz in seiner Schulter.
»Du warst noch nie bei den Terrassen?« sagte die Priesterin neben ihm. »Wir müssen über sie hinabsteigen – bist du dessen fähig?«
Als habe sie es ihm befohlen, begann er, selbstsicher wie auf ebenem Boden über die nassen Steinplatten hinabzusteigen. Der Baron rief ihn scharf, und er lehnte sich an eine einsame Gruppe von Efeubüschen, um den beiden, die noch über ihm standen, zuzulächeln wie Gefährten bei einem kindlichen Spiel. Als die Priesterin und der Baron vorsichtig näher kamen, hörte er den Baron sagen: »Er ist ein bißchen verrückt, Saiyett – ein einfältiger, närrischer Bursche, sagte man mir. Er könnte stürzen oder sich gar hinunterwerfen.«
»Nein, Baron«, erwiderte sie, »der Ort hat für ihn nichts Böses. Da du ihn hergebracht hast, könntest du vielleicht auch verraten, wieso?«
»Nein«, sagte der Baron kurz.
»Laß ihn gehen«, sagte sie. »Auf den Terrassen, heißt es, ist das Herz der Füße bester Führer.«
Bei diesen Worten wandte sich Kelderek wieder um und sprang mit sicheren Tritten platschend immer weiter hinunter. Der gefährliche Abstieg schien ein Sport zu sein, so anregend wie ein Sprung ins tiefe Wasser. Die blasse Form der unten liegenden Bucht wurde größer, und nun konnte er ein Feuer sehen, das daneben flackerte. Er spürte, wie der steile Hügel hinter ihm immer höher wurde. Die Terrassenkurven wurden kürzer und schmäler, so daß sie schließlich kaum mehr als ein breiter Pfad zwischen den Bäumen waren. Er kam zur untersten Stufe, blieb stehen und sah sich in dem dunklen Kessel um. Es war tatsächlich, dachte er, wie der Grund eines Brunnens – nur daß die Luft warm war und die Steine anscheinend trocken unter seinen Füßen. Von oben konnte er kein Geräusch von seinen Begleitern vernehmen, und nach einer Weile machte er sich auf den Weg zu dem Feuerschein und dem darunter plätschernden Wasser.
Dieses Ufer zwischen den Bäumen war unregelmäßig und mit den gleichen Steinen gepflastert wie die Terrassen oben. Soweit er erkennen konnte, war es als Garten angelegt. Zwischen der Pflasterung waren stellenweise Büsche, Obstbäume und Blumen gepflanzt. Er kam zu einer büschelförmig als Spalier hochgezogenen Tendriona, die eine Laube bildete, und konnte über sich die reifen Früchte unter den Blättern riechen. Er langte nach oben, zog eine herunter, riß die dünne Rinde auf und aß sie im Weitergehen.
Er kletterte über eine niedrige Mauer und stand nun am Ufer eines etwa zwei Meter breiten Kanals. In dem fast bewegungslosen Wasser zu seinen Füßen blühten Wasserlilien und Pfeilkraut, in der Mitte jedoch strömte es ein wenig, und er dachte, das müsse der von den Terrassen wieder gesammelte Strom sein. Er überquerte eine schmale Fußbrücke und sah vor sich einen kreisförmigen, in symmetrischem Helldunkelmuster gepflasterten Platz. In der Mitte stand ein etwa eiförmiger, oben abgeflachter Stein, in den ein sternenartiges Symbol eingemeißelt war. Dahinter glühte das Feuer rot auf einem Eisenrost.
Seine Müdigkeit und Angst kehrten wieder. Unbewußt hatte er gedacht, das Ufer und das Feuer würden das Ende seiner nächtlichen Reise sein. Er wußte nicht, welches Ende, aber durfte er nicht, wo ein Feuer war, Menschen erwarten – und Ruhe? Sein Impuls auf den Terrassen war närrisch und zugleich unverschämt gewesen. Die Priesterin hatte ihm nicht gesagt, er solle hierher kommen; vielleicht lag ihr Ziel anderswo. Nun war hier nur die von Sternen erleuchtete Einsamkeit und der Schmerz in seiner Schulter. Er dachte daran umzukehren, konnte sich aber nicht dazu entschließen. Vielleicht würden sie
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