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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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über den Vrako zu fliehen. Das würde die erbärmliche Verfassung der Kinder erklären. Aber welcher von den Sklavenhändlern war dieser Mann? Es waren nicht viele Genehmigungen erteilt worden, und Kelderek, der möglichst viel über den zu erwartenden Gewinn und den Steuerwert des Handels erfahren wollte und selbst dann und wann mit den meisten Händlern gesprochen hatte, versuchte, sich an die einzelnen Gesichter zu erinnern. Keines davon entsprach diesem Mann. Es waren niemals mehr als siebzehn Berufsgenehmigungen im Reich gültig gewesen, und kaum eine davon war nach der Erteilung einem zweiten Inhaber übertragen worden; wer würde denn auch eine so einträgliche Beschäftigung, wenn er sie einmal in die Hände bekommen hatte, weitergeben? Von den höchstens zwanzig Namen konnte er sich an den dieses Mannes nicht erinnern. Er mußte aber doch einer von ihnen sein. Oder war er – und da durchfuhr Kelderek eine böse Ahnung –, konnte er einer von den unbefugten Sklavenhändlern sein, vor denen man ihn gewarnt und für die er die schwersten Bestrafungen ausersehen hatte? Solche, die sich ihre Sklaven überall herholten, durch Entführung, durch Betrug und Terror in entfernten Dörfern oder indem sie die Schwachköpfigen, Verunstalteten oder aus anderen Gründen Unerwünschten den verkaufswilligen Verwandten abnahmen? Dann brachten sie sie möglichst unauffällig über Land und verkauften sie heimlich an die befugten Händler oder an andere Interessenten. Daß solche Männer im Reich arbeiteten, wußte er und kannte auch ihren Ruf als unbarmherzige und grausame Menschen, als skrupellose Betrüger, die sich nahmen, was und wo sie es finden mochten. »Alle Sklavenhändler sind Händler mit dem Elend«, hatte ein gefangener Offizier aus Yeldashay ihm einmal gesagt, als er ihn verhörte, »aber es gibt einige – von denen du angeblich nichts weißt –, die dreckigen Ratten gleich durch das Land schleichen und für unbedeutenden Profit wahrlich den elendigsten Unrat zusammenkratzen; für die machen wir dich auch verantwortlich, denn wer eine Scheune baut, weiß, daß die Ratten kommen werden.« Kelderek ließ ihn reden, und der Offizier enthüllte unwissentlich ziemlich viele nützliche Informationen.
    Plötzlich wurden Keldereks Erinnerungen durch völlig unerwartete Laute unterbrochen – Kinderlachen. Er blickte auf und sah ein kleines, vielleicht fünfjähriges Mädchen, das ungefesselt über die Lichtung lief und über seine Schulter zu einem großen, blonden Jungen zurückblickte. Der Junge lief ihr trotz seiner Kette nach, sichtlich zum Spaß, denn er blieb zurück und gab vor, wie man es beim Spiel mit ganz kleinen Kindern tut, daß es ihr gelang, ihm zu entkommen. Das Kind war zwar mager und blaß, sah aber weniger bedauernswert aus als die Knaben, zwischen denen es umherlief. Die Kleine war beinahe schon bei Kelderek angelangt, als sie stolperte und vornüber fiel. Der große Junge kam heran, hob sie auf und schaukelte sie in seinen Armen auf und nieder, um sie zu trösten und vom Weinen abzulenken. Damit beschäftigt, drehte er sich einen Augenblick Kelderek zu, und ihre Blicke kreuzten einander.
    Wenn jemand plötzlich ein Lied vernimmt, das er seit Jahren nicht gehört hat, oder Blumen riecht, die bei der Tür blühten, wo er einstmals spielte, mag er sich zurückversetzt fühlen – ob er will oder nicht und manchmal unter Tränen – in die tiefste Vergangenheit, dabei ist ihm für Augenblicke, als wäre er ein anderer Mensch, den das Leben mit einem leiseren Druck belastete, als er seither zu ertragen gelernt hat. Mit nicht geringerer Erschütterung empfand sich Kelderek wieder als Auge Gottes, als Crendrik, der Priesterkönig von Bekla – und spürte im Augenblick wieder die Düfte von Nebel und schwelender Kohle, den bitteren Geschmack im Mund und vernahm das Murmeln hinter sich, als er vor dem Gitter im Königlichen Hause versuchte, in Augen zu blicken, denen er nicht zu begegnen vermochte: die Augen des verurteilten Elleroth. Dann war die Vision vorbei, und er starrte verwirrt auf den Jungen, der das blonde Kind in seinen Armen auf und ab bewegte.
    In diesem Augenblick erhob sich der Sklavenhändler und rief: »He! Schreihals! Bled! Vorwärts!« Er ließ den Tornister liegen, ging quer über die Lichtung und schnalzte mit den Fingern, um die Kinder auf die Beine zu bringen und sie ohne ein weiteres Wort am anderen Ende zu einer Gruppe zusammenzutreiben. Er blieb neben dem großen Jungen stehen,

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