Shardik
schweiften ab – keine Kraft, sie weiter zu verfolgen – ein Gänseschnattern auf dem Fluß – er mußte sehr nahe vom Wasser sein – ein Geruch von Holzrauch – der pochende Schmerz unter dem Fingernagel war das schlimmste – sein Unterarm war verbunden, aber zu fest. Nichts war von ihm übrig als passive, zusammengefegte und in eine Ecke geworfene Fragmente, Shardik tot, Töne, Gerüche, unklare Erinnerungen, die Decke kratzte am Hals, der Kopf drehte sich schmerzend hin und her, Shardik tot, der Widerschein des Abendlichts schwand zwischen den Dachpfosten über ihm.
Er stöhnte mit geschlossenen Augen, leckte seine trockenen Lippen, die Schmerzen waren lästig wie Fliegen. Als er die Augen wieder aufschlug – nicht aus einem bewußten Wunsch zu sehen, sondern wegen der momentanen Erleichterung, welche die Änderung bringen würde, bevor der Schmerz sie überwand und wieder über seinen Körper kroch –, sah er neben dem Bett eine alte Frau stehen, die in beiden Händen eine Tonschale hielt. Er wies schwach darauf und dann auf seinen Mund. Sie nickte lächelnd, schob eine Hand unter seinen Kopf und hielt ihm die Schale an die Lippen. Es war Wasser. Er trank und keuchte: »Noch!« Darauf nickte sie, entfernte sich und kam mit der gefüllten Schale wieder. Das Wasser war frisch und kühl; sie mußte es direkt vom Fluß geholt haben.
»Ist dir sehr schlecht, armer Junge?« fragte sie. »Du mußt ruhen.«
Er nickte und flüsterte: »Aber ich habe Hunger.« Dann merkte er, daß sie in einem dem Ortelganischen ähnlichen Dialekt gesprochen hatte und daß er gedankenlos in der gleichen Sprache geantwortet hatte. Er sagte lächelnd: »Ich bin aus Ortelga.« Sie sagte: »Flußbewohner wie wir« und wies, wie er annahm, stromaufwärts. Er versuchte wieder zu reden, aber sie schüttelte den Kopf und legte für einen Augenblick, bevor sie ihn verließ, eine weiche, runzlige Hand auf seine Stirn. Er verfiel in Halbschlaf – Genshed – Shardik tot – wie lange war es her? Nach einiger Zeit kam sie wieder mit einer Tasse Suppe aus Fisch und einem Gemüse, das er nicht kannte. Er aß kraftlos, so gut er konnte. Sie spießte die Fischstücke auf ein spitzes Stöckchen und fütterte ihn, seine Hand haltend, und schnalzte bedauernd mit der Zunge beim Anblick seines verwundeten Fingers. Wieder verlangte er noch mehr, doch sie sagte: »Später – später – vorerst nicht zuviel – schlaf jetzt wieder!«
»Wirst du hierbleiben?« fragte er wie ein Kind, und sie nickte. Dann wies er auf die Tür und sagte: »Soldaten?«
Sie nickte wieder, und da fielen ihm die Kinder ein. Als er aber versuchte, nach ihnen zu fragen, wiederholte sie nur: »Schlaf jetzt!« Und tatsächlich fand er es, mit gestilltem Durst und der warmen Nahrung im Leib, leicht, ihr zu gehorchen; er glitt hinweg in die Tiefen, wie die Forelle, die der Fischer flüchtig erblickt hat, aus dessen Sicht entschwindet.
Einmal erwachte er im Dunkel und sah sie bei einer kleinen rauchenden Lampe sitzen, deren Flamme grün durch ein Gitterwerk dünner Binsen schien. Wieder half sie ihm beim Trinken und dann bei seiner Entleerung, wobei sie sein Zögern und Schamgefühl mit einer Gebärde abtat. »Warum gehst du jetzt nicht schlafen?« fragte er. Sie antwortete lächelnd: »Ja – du wirst doch das Kind jetzt noch nicht kriegen«, woraus er schloß, daß sie die Dorfhebamme sein mußte. Ihr Scherz erinnerte ihn an die Kinder. »Die Kinder?« fragte er sie. »Die Sklavenkinder?« Aber sie drückte nur wieder ihre alte, weiche Hand auf seine Stirn. »Weißt du, man nannte mich Kelderek, den Kinderspielfreund«, sagte er. Dann schwamm sein Kopf – hatte sie ihm ein Schlafmittel gegeben? –, und er schlief wieder ein.
Als er erwachte, wußte er, daß es Nachmittag war. Die Sonne war noch immer außer Sicht, irgendwo jenseits seiner Füße, aber höher und weiter links als am Vortag, da er zum erstenmal erwacht war. Sein Kopf war klarer, und er fühlte sich leichter, sauberer und irgendwie weniger von Schmerzen geplagt. Er wollte schon die alte Frau rufen, da merkte er, daß bereits jemand neben dem Bett saß. Er wandte den Kopf. Es war Melathys.
Er starrte sie ungläubig an, und sie erwiderte seinen Blick mit einem Ausdruck wie jemand, der einem geliebten Wesen ein kostbares und unerwartetes Geschenk gebracht hat. Sie legte einen Finger an die Lippen, doch als sie gleich darauf merkte, daß dies als Bitte um Zurückhaltung nicht genügen würde, glitt sie auf den
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