Shardik
tun, was dir zu tun bestimmt ist.‹«
Melathys machte eine kurze Pause, um sich wieder zu fassen. Dann fuhr sie fort:
»So also – so machte ich mich als Priesterin von Quiso auf den Weg. Wir gingen nach Lak, und dort erfuhr ich zuerst von Shardik und dann, daß du dort gewesen und fortgegangen warst. Mehr wußte man nicht über dich. Tags darauf marschierten die Yeldashayer nordwärts gegen Linsho und durchsuchten auf ihrem Marsch den Wald. Tan-Rion hatte der Tuginda versprochen, er werde sich um mich kümmern, und er schenkte mir dieses Metlan aus Yeldashay. Er hatte den Stoff – ich glaube, er hatte ihn in Kabin gekauft, ich wüßte gern, für wen –, und eine Frau in Lak nähte es nach seinen Angaben. ›Wenn du aussiehst wie ein Mädchen aus Yeldashay, wirst du mit den Männern keine Schwierigkeiten haben‹, sagte er. ›Sie wissen, wer du bist, aber sie werden dann meinen, daß sie dich respektieren und beschützen müssen.‹ Er schenkte mir auch dieses Emblem.«
Sie ergriff es lächelnd. »Ein beliebtes Mädchen. Soll ich es in den Fluß werfen?«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist unnötig. Außerdem könnte es mich erregen, nicht wahr? Erzähl weiter.«
Sie legte es wieder auf die Decke.
»Am zweiten Tag nach dem Abmarsch aus Lak fanden wir am Morgen eine Kindesleiche, die am Ufer lag – ein zehnjähriger Knabe. Er war schrecklich mager. Er war erstochen worden. Er hatte ein durchbohrtes Ohr und Kettenmale an den Fußknöcheln. Die Soldaten tobten vor Zorn. Damals fragte ich mich, ob du vielleicht von dem Sklavenhändler getötet wurdest. Ich war außer mir vor Sorge, und, Gott helfe mir, ich dachte mehr daran als an unseren Herrn Shardik.
An jenem Nachmittag wanderte ich mit Tan-Rion und seinem Treisatt am Ufer entlang, als zwei Kanus stromabwärts kamen, bemannt mit einem Offizier aus Yeldashay, zwei Soldaten und zwei Dorfbewohnern aus Tissarn. Von ihnen erfuhren wir, daß Radu gefunden wurde und daß Genshed und Lalloc tot waren. Der Offizier erzählte uns, wie unser Herr Shardik sein Leben geopfert hatte, um Radu und die Kinder zu retten, und wie er den Felsen in Stücke schlug. Es war wie ein Wunder, sagte er, wie ein altes, unglaubwürdiges Märchen.
Natürlich dachten die Yeldashayer nur an Radu, aber ich fragte den Offizier aus, bis ich erfuhr, daß du bei Genshed gewesen warst und daß Shardik auch dich gerettet hatte. ›Verwundet, fiebernd und halb von Sinnen‹, sagte der Offizier, aber sie glaubten nicht, daß du sterben würdest.
Eines der Kanus fuhr weiter nach Zeray, und ich ließ mir von Tan-Rion einen Platz in dem anderen geben, das zurückfuhr. Wir paddelten die ganze Nacht am Ufer entlang stromaufwärts gegen die Strömung und kamen bald nach Morgengrauen nach Tissarn. Ich ging zuerst zu unserem Herrn Shardik, wie es meine Ehre und Schuldigkeit verlangte. Es hatte ihn niemand berührt; und genau, wie die Tuginda gesagt hatte, wußte ich, was ich zu tun hatte. Tan-Rion hatte bereits die Vorbereitungen getroffen. Er machte keine Schwierigkeiten, als ich mich an ihn wandte. Die Leute aus Yeldashay denken jetzt völlig anders über unseren Herrn Shardik, weißt du.
Aber nun spreche ich schon zu lange, mein Liebster. Ich darf dich heute abend nicht länger anstrengen.«
»Eine Frage«, sagte Kelderek, »nur eine. Was ist aus Radu und den Kindern geworden?«
»Sie sind noch hier. Ich lernte Radu kennen. Er sprach von dir als seinem Freund und Kameraden. Er ist schwach und sehr unglücklich.« Sie machte eine Pause. »Es gab da ein kleines Mädchen?«
Kelderek holte scharf Atem und nickte.
»Man hat nach Elleroth geschickt«, sagte sie. »Die anderen Kinder – ich habe sie nicht gesehen. Einige erholen sich, aber ich höre, daß es mehreren sehr schlecht geht, den armen Kleinen. Zumindest sind sie in guten Händen. Jetzt mußt du wieder schlafen.«
»Und du auch, meine nachtreisende Liebste. Wir müssen beide schlafen.«
»Gute Nacht, Kelderek, Kinderspielfreund. Sieh doch, es ist schon ganz dunkel geworden. Ich werde die alte Dirion bitten, Gott segne sie, ihre Lampe hereinzubringen und sich zu dir zu setzen, bis sie sicher ist, daß du schläfst.«
56. Shardiks Totenfeier
Obwohl es nun völlig dunkel war, hörte er aus einiger Entfernung den Lärm von arbeitenden Männern – gemeinsame, rhythmische Rufe, wie wenn schwere Gegenstände an ihren Platz geschleppt werden, Hammerschläge, Splittern und Axthiebe. Von irgendwoher unweit des Flusses war ein schwacher
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