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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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lohnte sich nicht, verzweifelte Menschen in ihrem letzten Bollwerk anzugreifen. Auch Quiso überließen sie ihnen, denn sie fürchteten Quiso, obwohl es ein öder, geschändeter Ort geworden war. Eines jedoch verlangten sie: Shardik dürfte nie wiederkommen; und lange Zeit hindurch, bis es nicht mehr nötig war, wachten sie darüber, daß es bestimmt nicht geschah.
    Die Jahre vergingen, und aus uns wurde ein unwissendes, verarmtes Volk. Viele ortelganische Handwerker zogen fort, um sich ihre Geschicklichkeit an reicheren Orten honorieren zu lassen, und die zurückbleibenden verloren ihre Fertigkeit aus Mangel an geeignetem Material und reicher Kundschaft. Nun kommen wir so weit auf das Festland, wie wir es wagen, und handeln mit dem, was wir zu bieten haben – mit Seilen und Häuten, für die wir eintauschen, was immer wir von draußen bekommen können. Und die Barone heben Gruben aus und postieren Shendrons, um auf einem Urwaldfleck, den kein anderer haben will, am Leben zu bleiben. Doch die Tuginda auf ihrer Insel hat eine Aufgabe – glaube mir, Kelderek, sie hat eine Aufgabe: die schwerste. Sie muß warten. Stets bereit sein für Shardiks Rückkehr. Denn eines wurde immer wieder klar vorausgesagt, durch jedes Zeichen und Omen, das die Tuginda und ihre Priesterinnen kennen – daß Shardik eines Tages wiederkommen wird.«
    Kelderek stand eine Weile dort und blickte auf das Schilf im Mondschein. Dann sagte er: »Und die Werkzeuge, Saiyett? Du sagtest, wir seien die Werkzeuge.«
    »Vor langer Zeit wurde ich unterrichtet, daß Gott alle Menschen beglücken wird, indem er durch Shardik und durch zwei auserwählte Werkzeuge, einen Mann und eine Frau, eine große Wahrheit enthüllen wird. Aber zuerst wird Er diese Werkzeuge zerschmettern und sie dann selbst wieder für Seine Zwecke neu formen.«
    »Was bedeutet das?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete die Tuginda, »aber eines gibt es, Kelderek Zenzuata, dessen du sicher sein kannst. Wenn es wirklich Shardik, unser Herr, ist, wie wir beide glauben, dann gibt es einen guten Grund, warum du und kein anderer auserwählt wurdest, ihn zu finden und ihm zu dienen – ja, auch wenn du selbst nicht erraten kannst, was der Grund ist.«
    »Ich bin kein Krieger, Saiyett. Ich – «
    »Es wurde nie vorausgesagt, Shardiks Wiederkehr müsse bedeuten, daß die Macht und die Herrschaft der Ortelganer wiederhergestellt wird. Tatsächlich gibt es ein Sprichwort: ›Gott tut nicht zweimal das gleiche.‹«
    »Was also, Saiyett, sollen wir tun, wenn wir ihn finden?«
    »Einfach auf Gott warten«, antwortete sie. »Wenn wir unsere Augen und Ohren in aller Demut öffnen, wird uns gezeigt werden, was wir tun sollen. Und du mußt dich bereitmachen, Kelderek, dich mit demütigem und ehrlichem Herzen zu unterwerfen, denn vielleicht hängt die Erfüllung von Gottes Absicht gerade davon ab. Er kann uns nichts sagen, wenn wir nicht hören wollen. Wenn wir beide recht haben, werden wir bald nicht mehr mit unser beider Leben tun können, was wir wollen.«
    Sie machte sich langsam auf den Weg zurück zum Feuer, und Kelderek ging neben ihr. Als sie hinkamen, faßte sie ihn an der Hand. »Bist du fähig, einen Bären aufzuspüren?«
    »Das ist sehr gefährlich, Saiyett, glaube mir. Das Risiko – «
    »Wir können nur Vertrauen haben. Es wird deine Aufgabe sein, den Bären zu finden. Ich selbst habe nun zwar in langen Jahren die Mysterien der Tuginda gelernt, aber weder ich noch irgendeine lebende Frau hat sie jemals in Gegenwart Shardiks, unseres Herrn, ausgeführt oder auch nur ausführen sehen. Gottes Wille geschehe.«
    Sie flüsterte, denn sie waren am Feuer vorbeigeschritten und standen zwischen den schlafenden Frauen.
    »Du mußt dich nun ausruhen, Kelderek«, sagte sie, »denn morgen haben wir viel zu tun.«
    »So ist es, Saiyett. Soll ich zwei Mädchen wecken? Eine allein könnte sich fürchten.«
    Die Tuginda blickte auf die atmenden Gestalten nieder, deren Ruhe so leicht, so entrückt und gefährdet schien wie die eines im tiefen Wasser stehenden Fisches.
    »Laß die armen Dinger ruhen«, sagte sie. »Ich werde selbst Wache halten.«
     

10. Die Auffindung Shardiks
     
    Während die Sonne höher stieg und südwärts um den Hügel wanderte, drang der längs des Ufers in die Bäume reflektierte Schimmer des Wassers vom Schilf durch die lichtdurchlässigen Blätter aufwärts und traf schließlich auf die zwischen den höheren Ästen einfallenden direkten Strahlen, die ihn undeutlich machten.

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