Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
Vom Netzwerk:
und dem dahinter fließenden Telthearna ausdehnte. In geringer Entfernung von der Stelle, wo er stand, gab es eine Höhlung – eine etwa einen Steinwurf breite Grube. Sie war von Gebüsch und wuchernden Gewächsen umgeben, und etwa aus derselben Richtung kam ein leises Wasserrauschen. Er könnte eigentlich hingehen, dachte er, und ein wenig trinken, bevor er umkehrte. Die Bärenspur wiederzufinden, würde sich nun, da sie sie verloren hatten, wahrscheinlich als eine langwierige und mühsame Sache erweisen.
    Er ging hinaus auf das freie Feld und sah, daß tatsächlich hinter der Höhlung eine Quelle den Abhang hinunterfloß. Die Höhlung lag nicht unmittelbar auf seinem Weg, aber er ging aus reiner Neugier hin und blickte hinein. Und schon ließ er sich auf Hände und Knie fallen und verbarg sich hinter einer dichten Pflanzengruppe nahe am Rand.
    Er spürte den Puls in seiner Kniekehle, als hätte ein Finger an der Sehne gezupft, und sein Herz klopfte so heftig, daß er es zu hören glaubte. Er wartete, aber es war kein anderer Laut zu vernehmen. Vorsichtig hob er den Kopf und blickte nochmals hinunter.
    Unten war der Boden, anders als im rundum von der Hitze ausgedörrten Wald, frisch und grün. Auf einer Seite wuchs eine Eiche, deren untere Äste mit dem Rand der Grube auf gleicher Höhe waren und sich über dem Boden ausbreiteten. Der Stamm war unten von kurzem, weichem Gras umgeben, und nahebei in seinem Schatten lag ein seichter Teich. Es gab keine Mündung, und als er hinblickte, spiegelten sich in dem bewegungslosen Wasser zwei Enten, die unter einer schildförmigen Wolke vorbeiflogen, ins Blaue segelten und außer Sicht gerieten. Längs des gegenüberliegenden Randes erhob sich eine Böschung, und darüber wuchs ein Gewirr von Trepsisranken – eine Art wilder Kürbis mit rauhen Blättern und trichterförmigen, scharlachroten Blüten.
    Zwischen den Trepsisranken lag der Bär auf der Seite mit dem Wasser zugeneigtem, schlaff hängendem Kopf. Die Augen waren geschlossen, die Kiefer leicht geöffnet, und die Zunge stand vor. Der Jäger, der zum zweitenmal seine gewaltigen Schultern und die unglaubliche Körpergröße sah, wurde von dem gleichen ekstatischen Unwirklichkeitsgefühl erfaßt, das er zwei Tage zuvor verspürt hatte; doch nun gesellte sich dazu ein Gefühl der Steigerung, der Erhebung auf ein höheres Niveau als das seines Alltagslebens. Einen solchen Bären konnte es unmöglich geben – und dennoch lag er vor ihm. Er hatte sich nicht getäuscht. Dies konnte in der Tat kein anderer sein als Shardik, die göttliche Kraft.
    Hier war kein Raum mehr für den geringsten Zweifel, und alles, was er getan hatte, war richtig gewesen. Zugleich bedrückt und befreit, in Furcht und Scheu betete er: »O Shardik, o mein Herr, nimm mein Leben hin. Ich, Kelderek Zenzuata – ich bin für immer dein, deiner Befehle gewärtig, Shardik, mein Gebieter!«
    Als sein erster Schock nachzulassen begann, sah er, daß er auch mit seiner Annahme recht gehabt hatte, der Bär wäre krank oder verwundet. Er war sichtlich in eine Bewußtlosigkeit versunken, die sich von dem Schlaf eines gesunden Tieres völlig unterschied. Und da war noch etwas – etwas Unnatürliches und Verwirrendes –, aber was? Es lag offen vor ihm, aber das war nicht alles. Dann nahm er es wahr. Die Trepsisranken wachsen schnell: von Sonnenaufgang bis -untergang wachsen sie quer über eine Tür. Der Körper des Bären war da und dort von hängenden Stengeln mit Blättern und roten Blüten bedeckt. Wie lange hatte demnach Shardik, ohne sich zu regen, neben dem Weiher gelegen? Einen Tag? Zwei Tage? Der Jäger blickte näher hin, seine Angst wurde zu Mitleid. An der freiliegenden Flanke zeigten sich entblößte Flecken in dem zottigen Pelz. Das Fleisch erschien dunkel und verfärbt. Aber auch getrocknetes Blut war doch sicherlich nicht so dunkel! Er stieg noch etwas tiefer über die Böschung in die Grube hinunter. Gewiß, da war Blut, aber die Wunden sahen dunkel aus, weil es darauf von trägen, kriechenden Fliegen wimmelte. Er schrie auf vor Ekel und Entsetzen. Shardik, der Leopardentöter, Shardik von den Terrassen, Shardik, unser Herr, kehrte nach ungezählten Jahren zurück zu seinem Volk – und lag, von Fliegen beschmutzt und sterbend vor Unrat, in einer Urwaldgrube voll Unkraut.
    »Er stirbt«, dachte er. »Er stirbt, bevor es Morgen wird – wenn wir es nicht verhindern können. Ich aber werde hinuntergehen und trotz aller Gefahr Hilfe holen.«
    Er

Weitere Kostenlose Bücher