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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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nicht sagen: ›Machen wir jetzt kehrt und gehen wir heim!‹
    Nachdem mein Vater Zilkrons Bericht gehört hatte, fragte er mich unter vier Augen, ob ich Angst gehabt hätte. Ich versuchte, ihm zu schildern, was ich empfunden hatte, aber er hatte noch nie wirklich einen Bären getroffen und sah mich nur verwundert an.
    An jenem Tag bestach ich den Anführer der Dorfleute, uns so zu führen, daß es aussah, als würden wir den Bären verfolgen, uns aber in Wirklichkeit dorthin zu bringen, wo wir ihn wahrscheinlich nicht finden würden. Ihm machte es nichts aus – er grinste bloß und nahm den Lohn an. Bis zum Einbruch der Nacht hatten wir vom Bären nichts mehr gesehen, und beim Einschlafen fragte ich mich, was ich weiter tun sollte.
    Ich wurde von Zilkron geweckt. Der Vollmond ging gerade unter, und auf den Felsen glitzerte Frost. Sein Gesicht strahlte triumphierend – und wohl auch höhnisch, nahm ich an. Er flüsterte: ›Da ist er wieder, mein Junge!‹ Er hielt seinen großen, bemalten Bogen mit den grünen Silberquasten und dem polierten Jetthandgriff in den Händen. Sobald er sah, daß ich wach war, verließ er mich. Ich erhob mich und stolperte hinter ihm her. Die Dörfler kauerten hinter einem Felsen, aber mein Vater und Zilkrons zwei Diener standen draußen im Freien.
    Tatsächlich, der Bär kam. Wie ein Bursche auf dem Weg zum Jahrmarkt – so trottete er dahin und leckte sich die Lippen. Er hatte unser Feuer gesehen und das Essen gerochen. ›Bis zum gestrigen Tag‹, dachte ich, ›hat er noch nie Menschen getroffen. Er weiß nicht, daß wir ihn töten wollen.‹ Das Feuer brannte hell genug, doch er schien sich nicht davor zu fürchten. Er kletterte über einen Felsen und schnupperte an dessen Fuß. Vermutlich hatten die Köche Proviant dort gelassen.
    Zilkron legte mir eine Hand auf die Schulter, und ich spürte seine Goldringe an meinem Schlüsselbein. ›Keine Angst‹, sagte er, ›keine Angst, mein Junge. Ich jage ihm drei Pfeile in den Leib, bevor er auch nur Zeit hat, an einen Angriff zu denken.‹ Er schlich näher. Ich folgte ihm, und der Bär wandte sich um und sah uns.
    Einer von Zilkrons Leuten – ein alter Bursche, der ihn seit seiner Kindheit betreut hatte – rief ihm zu: ›Nicht näher, Herr!‹ Zilkron winkte, ohne sich umzudrehen, mit der Hand nach hinten, dann spannte er seinen Bogen.
    In diesem Augenblick erhob sich der Bär wieder auf die Hinterbeine und blickte mich direkt an, sein Kopf war gesenkt, seine Vorderpranken lagen übereinander, und er brummte zweimal kurz: ›Ah! Ah!‹ Als Zilkron die Sehne losließ, schlug ich ihm auf den Arm. Der Pfeil spaltete einen Zweig im Feuer, und die Funken flogen in einem Schauer hoch.
    Zilkron wandte sich sehr ruhig zu mir um, als habe er etwas Ähnliches erwartet. ›Du blöder kleiner Feigling‹, sagte er, ›geh zur Seite!‹ Ich trat vor ihn und ging auf den Bären zu – meinen Bären, der einen Ortelganer bat, ihn vor diesem reichen Flegel zu schützen.
    ›Aus dem Weg!‹ schrie Zilkron. Ich wandte mich um, in der Absicht, ihm zu antworten; in dem Augenblick stürzte sich der Bär auf mich. Ich spürte einen schweren Schlag auf meiner linken Schulter, dann umfaßte er mich und drückte mich an sich, schnappte und biß nach meinem Gesicht. Sein feuchter, süßlicher Atem war das letzte, was ich spürte.
    Als ich drei Tage später zu mir kam, waren wir wieder in dem Bergdorf. Zilkron hatte uns verlassen, denn mein Vater hatte gehört, wie er mich einen Feigling nannte, und sie hatten wütend gestritten. Wir blieben noch zwei Monate dort. Mein Vater saß an meinem Bett und sprach, hielt mich an der Hand und erzählte mir alte Geschichten; dann schwieg er, Tränen standen in seinen Augen, als er sah, was von seinem prächtigen Sohn übrig war.«
    Bel-ka-Trazet lachte kurz. »Es war ein schwerer Schlag für ihn. Er verstand weniger vom Leben als ich jetzt, da ich sein Alter erreicht habe. Aber das ist Nebensache. Was glaubst du, warum ich meine Diener aus Quiso zurückgeschickt habe und allein hierhergekommen bin? Ich will es dir sagen, Kelderek, und merk dir meine Worte. Da du ein Mann aus Ortelga bist, kannst du nicht umhin, die Macht des Bären zu spüren. Und jeder Ortelganer wird sie zu spüren bekommen, es sei denn, wir sorgen dafür – du und ich –, daß die Dinge eine andere Wendung nehmen. Gelingt uns das nicht, dann wird ganz Ortelga auf die eine oder andere Weise zerschlagen werden, genau wie mein Gesicht und mein Körper

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