Shardik
daß die Gefahr immer noch groß sein würde, aber ich wußte wenigstens von Bären, daß sie nicht dauernd wild sind, daß sie schlecht sehen und sich manchmal aus der Fassung bringen lassen. In felsigem oder bergigem Gelände kann man sich auch manchmal von oben her an sie anschleichen und einen Speer oder Pfeil abschießen, bevor sie einen gesehen haben. Kurz und gut, Zilkron beschloß, daß wir auf die Bärenjagd gehen sollten, und sprach mit meinem Vater.
Mein Vater war unschlüssig, denn als Ortelganer durften wir keine Bären töten. Zuerst schüchterte ihn der Gedanke ein, aber wir waren weit von daheim, die Tuginda würde es nie erfahren, und es war auch keiner von uns fromm oder gottesfürchtig. Schließlich machten wir uns auf den Weg zum Shardra-Main, dem Bärengebirge, und kamen nach drei Tagen dort an.
Wir stiegen in die Berge hinauf und nahmen einige Dorfbewohner als Spurensucher und Führer in Dienst. Sie führten uns höher hinauf zu einem felsigen, sehr kalten Plateau. Sie sagten, dort lebten die Bären, kämen aber oft nach unten, um Farmen zu überfallen und in den Wäldern zu jagen. Die Dörfler hatten zweifellos etwas von den Bären gelernt, denn sie stahlen, was sie nur konnten. Einer stahl einen Schildpattkamm, den Zilkron mir geschenkt hatte, aber ich konnte nicht herausbekommen, wer der Dieb war.
Am zweiten Tag fanden wir einen Bären – einen großen Bären; als Zilkron ihn von weitem in Bewegung sah, zeigte er auf ihn und schnatterte verrücktes Zeug. Wir verfolgten ihn vorsichtig, denn ich war sicher, er würde, wenn er das Gefühl hätte, gejagt zu werden, auf der einen oder anderen Seite des Berges entschlüpfen und wir würden ihn ganz verlieren. Als wir an die Stelle kamen, wo wir ihn gesehen hatten, war er verschwunden, und es blieb uns nichts übrig, als höher zu steigen und zu hoffen, daß wir ihn von oben erblicken könnten. Wir bekamen ihn an jenem Tag nicht mehr zu Gesicht. Wir kampierten hoch oben in dem besten Unterstand, den wir finden konnten; und es war wahrlich sehr kalt.
Am nächsten Morgen, gerade als es hell wurde, erwachte ich und hörte seltsame Geräusche – es wurden Stöcke zerbrochen, ein Sack geschleift, ein Topf rollte zur Seite. Es klang nicht nach einem Kampf, sondern eher nach einem Betrunkenen, der umherstolpert, um sein Bett zu finden. Ich lag in einer kleinen durchgangartigen Spalte, vom Wind geschützt, erhob mich und ging hinaus, um zu sehen, was los war.
Was los war, war der Bär. Der Bursche aus Bekla, der die Wache hatte, war eingeschlafen, das Feuer war niedergebrannt, und keiner hatte gesehen, daß der Bär ins Lager getrottet kam. Er durchsuchte unsere Lebensmittel und bediente sich. Ein Sack Tendrionas war ihm in die Tatzen gekommen, und er schleppte ihn umher. Die Dörfler lagen alle reglos und still wie Steine auf dem Boden. Während ich zusah, patschte der Bär einen von ihnen mit der Tatze, wie um ihm zu sagen, er brauche keine Angst zu haben. Ich dachte: ›Wenn ich irgendwo an eine höhere Stelle kommen könnte, wo er mich nicht erreicht, könnte ich warten, bis er das Lager verläßt, und ihm dann einen Pfeil in den Leib jagen‹; denn ich wollte ihn nicht im Lager verwunden, mitten unter Menschen, die nicht gewarnt worden waren. Ich holte meinen Bogen und kletterte an der Seite der kleinen Spalte hoch, wo ich geschlafen hatte. Ich kam oberhalb des Felsens hinaus, und da war unser feiner Freund just unter mir, sein Kopf steckte in dem Sack, er kaute und bewegte seinen Schwanz wie ein Lämmchen beim Mutterschaf. Ich hätte hinlangen und seinen Rücken berühren können. Er hörte mich, zog den Kopf heraus und stellte sich auf seine Hinterbeine; und dann – du magst es glauben oder nicht, Kelderek – blickte er mir ins Gesicht und neigte den Kopf vor mir mit verschränkten Vordertatzen. Dann ließ er sich auf alle viere fallen und trottete davon.
Während ich ihm nachstarrte, kam Zilkron, zur Verfolgung entschlossen, mit zweien seiner Diener heran. Ich speiste sie mit irgendeiner Ausrede ab – sie muß faul gewesen sein, denn Zilkron zog wortlos die Schultern hoch, und ich sah, wie seine Leute miteinander Blicke wechselten. Sollten sie denken, was sie wollten! Ich war wie du, Kelderek – und wie jeder andere Ortelganer, möchte ich sagen; nun, da ich dem Bären gegenübergestanden hatte, wollte ich ihn nicht töten und auch nicht zulassen, daß Zilkron ihn tötete. Ich wußte aber nicht, was ich tun sollte, denn ich konnte ja
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