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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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verschiedenen europäischen Städten, Stelldicheins mit Obdachlosen und menschlichen Wracks aller Art und schwachsinnigen Stadtstreichern.
    Und eine »echte Gruppensexszene«. Pornografische Filme »irgendwo unten in Florida gedreht. Da haben wir’s getrieben wie die Superstars«.
    Die »Partys« hatten immer mit einem durch Drogen herbeigeführten Black-out geendet, dann zog Jana sich zurück, und J. wachte auf und wusste nichts von dem, was ihr »Zwilling« getan hatte.
    Die Fähigkeit, sich zu spalten, war das Problem der Patientin, stellte Sharon fest, und darauf richtete sie ihren therapeutischen Ansatz. J.’s Ego musste integriert werden, die »Zwillinge« kamen einander immer näher, sollten aufeinanderprallen, dann eine Art Wiederannäherung erreichen und schließlich zu einer einzigen, voll funktionierenden Identität verschmelzen.
    Ein potenziell traumatischer Prozess, gab sie zu, dessen Vorhandensein sonst durch keine nennenswerten klinischen Untersuchungen zu belegen war. Sehr wenige Therapeuten behaupteten, schon einmal multiple Persönlichkeiten zusammengefügt zu haben, sodass die Aussicht auf Erfolg gering schien. Aber Kruse ermutigte sie, unterstützte ihre Theorie, dass diese Multiplen, da sie »eineiige Zwillinge« seien, einen gemeinsamen »seelischen Kern« besitzen und einer Verschmelzung zugänglich sein müssten.
    Während der Hypnose fing sie an, J. mit kleinen Häppchen von Jana bekannt zu machen: kurze Blicke durchs Autofenster auf eine Autobahn, ein Straßenschild oder Hotelzimmer, das Jana erwähnt hatte. Schnappschüsse neutralen Materials, das leicht zurückgezogen werden konnte, wenn die Angst der Patientin zu groß wurde.
    J. ertrug das gut - keine äußeren Anzeichen von Angst, obwohl sie auf das Material von Jana durchgehend nicht reagierte und Sharons Vorschlag ablehnte, sich diese Einzelheiten nach Hypnose ins Gedächtnis zurückzurufen. Die folgende Sitzung: ebenfalls keine Erinnerung, überhaupt gar keine Reaktion. Sharon versuchte es wieder. Nichts. Sitzung auf Sitzung. Eine leere Wand.Trotz der vorangegangenen Ansprechbarkeit und Suggestibilität war sie völlig unkooperativ. Entschlossen wohl, dass die »Zwillinge« einander nie begegnen sollten.
    Überrascht vom Widerstand der Patientin fragte sich Sharon, ob sie sich vielleicht geirrt hatte in der Annahme, das Zwillingsverhältnis erleichtere die Integration. Vielleicht war genau das Gegenteil wahr. Die Tatsache, dass J. und Jana körperlich eine Gesamtheit, aber psychologisch spiegelverkehrte Kopien waren, hatte ihre Rivalität intensiviert.
    Sie fing an, die Psychologie der Zwillinge zu erforschen, vor allem der eineiigen, Kruse zu Rate zu ziehen, kam dann mit einem anderen Ansatz: Sie hypnotisierte die Patientin weiter, aber unterließ fortan jegliche Versuche einer Integration. Stattdessen übernahm sie eine aktivere Rolle, plauderte einfach mit der Patientin über scheinbar harmlose Themen: weibliche Geschwister, Zwillinge, Eineiige. Führte durch leidenschaftslose Diskussionen - gab es tatsächlich eine spezielle Bindung zwischen Zwillingen und wenn ja, welcher Art war sie? Wie erzog man Zwillinge am besten? Wie viel der Ähnlichkeit von Eineiigen wurde durch Vererbung, wie viel durch Gene verursacht?
    Sie nannte es »mit dem Widerstand im Rücken surfen«. Notierte sorgfältig die Körpersprache der Patientin und ihre Sprechtöne, synchronisierte ihre eigenen mit den Bewegungen der Patientin.
    Sie »erforschte die versteckte Botschaft« - nach Dr. P.P. Kruses Theorie der Kommunikationsdynamik.
    Das ging noch mehrere Monate lang so; bei oberflächlichem Hinsehen: nichts als zwei Freundinnen, die sich unterhalten. Aber die Patientin reagierte auf diesen Strategiewechsel, indem sie tiefer denn je in Hypnose versank. Sie wies eine so tiefe Suggestibilität auf, dass sie eine völlige Unempfindlichkeit der Haut gegenüber Feuer entwickelte und ihre Atmung an diejenige Sharons anpasste. Bereit schien für direkte Suggestion. Aber Sharon zögerte noch.
    Dann, während der vierundfünfzigsten Sitzung, rutschte die Patientin spontan in die Rolle der Jana und fing an, eine wilde Nacht zu beschreiben, die sich in Italien abgespielt hatte - eine Party in einer privaten Villa in Venedig, bevölkert von unheimlichen grinsenden Gestalten und mit stetem Nachschub an Alkohol und Drogen.
    Zuerst nur mal wieder so eine Orgiengeschichte Janas, alle ekelerregenden Einzelheiten genüsslich ausgebreitet, dass einem beinahe schlecht

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