Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
gezackten Rand gesehen hatte. Aber er verließ sich dabei auf eine Information, die von Sharon stammte.
    Oder hatte er selbst gelogen? Nicht, dass es einen Grund gab, seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln, aber ich hatte eine Abneigung gegen jede Art von Vertrauen entwickelt.
    Und was hieß es schon, wenn die verkrüppelte Frau tatsächlich ein Zwilling war? Eine Verwandte? Sie und Sharon ähnelten einander in gewissen körperlichen Merkmalen - Haar- und Augenfarbe -, die ich als Beweis akzeptiert hatte, dass sie ihre Schwester war. Ich hatte akzeptiert, was Sharon mir über Shirlee erzählt hatte, weil es damals für mich keinen Grund gab, es nicht zu tun.
    Shirlee. Wenn das überhaupt ihr Name war.
    Shirlee mit Doppel-e. Sharon hatte auf das Doppel-e hingewiesen. Genannt nach ihrer Adoptivmutter.
    Noch mehr Symbolik.
    Joan.
    Wieder ein Gedankenspiel.
    All die Jahre, hatte Helen gesagt, hatte ich das Gefühl, ich verstände sie. Jetzt wird mir klar, dass ich mir etwas vorgegaukelt habe. Ich kannte sie fast gar nicht.
    Willkommen im Klub, Mrs. Leidecker.
    Ich wusste, dass Sharons Leben und Tod von etwas programmiert worden war, was stattgefunden hatte, bevor Helen sie Majonäse aus dem Glas essen sah.
    Die frühen Jahre …
    Ich trank Kaffee, erforschte Sackgassen. Meine Gedanken schweiften zu Darren Burkhalter ab und dem Kopf seines Vaters, der auf dem Rücksitz gelandet war wie ein blutiger Ball am Strand …
    Die frühen Jahre.
    Vorgänge, die weiterwirkten.
    Mal hatte wieder einen Fall gewonnen: Er würde sich einen neuen Mercedes zulegen, und Darren würde als reiches Kind aufwachsen. Aber alles Geld der Welt konnte dieses Bild aus dem Bewusstsein des Zweijährigen nicht auslöschen.
    Ich dachte an all die unglücklich zur Welt gekommenen, kranken Kinder, die ich behandelt hatte. Winzige Körper, die mit der Zufälligkeit von Löwenzahnsamen in die Welt hinausgeschleudert wurden.
    Etwas fiel mir ein, was ein Patient zu mir gesagt hatte. Der bittere Abschiedskommentar eines einst selbstbewussten Mannes, der gerade sein einziges Kind beerdigt hatte:
    Wenn Gott existiert, Doktor, hat er jedenfalls eine verdammt eklige Art von Humor.
    Hatte ein gemeiner Witz Sharons Entwicklungsjahre bestimmt? Wenn ja, wer war der Komiker?
    Ein Kleinstadtmädchen namens Linda Lanier war die eine Hälfte der biologischen Gleichung, wer hatte die anderen dreiundzwanzig Chromosomen beigesteuert?
    Ein Hollywoodhabitué oder der Matratzenjockey einer einzigen Nacht? Ein Geburtshelfer mit heimlichen Überstunden, in denen er Leben wegkratzte? Ein Milliardär?
    Ich saß lange in dem Rasthaus und dachte nach. Und kam immer wieder auf Leland Belding zurück. Sharon war auf Magna-Land aufgewachsen, hatte in einem Magna-Haus gewohnt. Ihre Mutter hatte Belding geliebt - Bürojungen wussten das.
    Martinis in seinem Sonnenzimmer?
    Aber wenn Belding sie gezeugt hatte, warum hatte er sie im Stich gelassen? Sie an die Ransoms abgeschoben im Austausch gegen das Recht, auf dem Stück Land zu leben und Papiergeld in einem Umschlag ohne Absender zu erhalten.
    Zwanzig Jahre später das Haus, der Wagen.
    Wiederversöhnung?
    Hatte er sie schließlich anerkannt? Eine Erbin geschaffen? Aber er war doch angeblich schon sechs Jahre zuvor gestorben.
    Was war mit seiner anderen Erbin - der anderen kleinen Eisesserin? Doppeltes Im-Stich-Lassen? Zwei Dreckplätze?
    Ich dachte über das wenige nach, was ich über Belding wusste: besessen von Maschinen und Präzision. Ein Einsiedler. Kalt.
    Kalt und herzlos genug, um die Mutter liquidieren zu lassen.
    Hypothetisch. Hässlich. Ich ließ den Löffel fallen. Das Klirren unterbrach die Stille im Fernfahrercafé.
    Sind Sie okay?«, fragte die Serviererin und stand vor mir, die Kaffeekanne in der Hand.
    Ich sah hoch. »Ja. Klar, mir geht’s großartig.«
    Ihr Gesichtsausdruck sagte, dass sie das schon öfter gehört hatte. »Mehr?« Sie hob die Kanne.
    »Nein, danke.« Ich schob ihr Geld zu, stand auf und verließ die Raststätte. Hatte keine Mühe, den ganzen Weg bis L.A. wach zu bleiben.

31
    Ich kam nach Mitternacht heim, von Adrenalin aufgeputscht und von Rätseln trunken. Milo ging selten vor eins zu Bett. Ich rief bei ihm zu Hause an.
    Rick hob den Hörer ab und zeigte die alte Mischung aus Müdigkeit und Wachsamkeit, die Wachhunde nach jahrelangem Grenzdienst erwerben.
    »Dr. Silverman.«
    »Rick. Ich bin’s, Alex.«
    »Alex. Oh.«
    »Tut mir leid, dich aufzuwecken.«
    »Ist schon okay, keine Angst.« Gähnen.

Weitere Kostenlose Bücher