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Sharpes Feuerprobe

Titel: Sharpes Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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auf, vergewisserte sich, dass seine Geldbörse in der Tasche war, und verließ das Zelt.
    »Weitermachen, Sergeant«, rief er zurück.
    »Sir!«
    Hakeswill stand ganze zehn Sekunden still, nachdem der Captain fort war, und dann zuckte es in seinem Gesicht, und er grinste verschlagen, als er Morris in die Dunkelheit hinaus folgte.
 
    Neunzehn Meilen südlich stand ein Tempel. Es war eine alte Stätte, tief im Land, eines der vielen Hindu­Heiligtümer, zu denen die Landbevölkerung an Feiertagen pilgerte, um ihre Götter zu ehren und für einen rechtzeitigen Monsun, eine gute Ernte und die Abwesenheit von Kriegsherren zu beten. Den Rest des Jahres war der Tempel verlassen, seine Götter und Altäre und die reich mit Schnitzereien verzierten Türme waren die Heimat von Skorpionen, Schlangen und Affen.
    Der Tempel war von einer Mauer umgeben, durch das ein Tor führte, doch die Mauer war nicht hoch und das Tor war nie verschlossen. Dorfbewohner stellten kleine Gaben wie Blumen und Nahrungsmittel in Nischen an die Torpfosten, und manchmal gingen sie tagsüber sogar in den Tempel hinein, überquerten den Hof und kletterten in den inneren Schrein, wo sie ihre kleinen Geschenke unter das Bildnis eines Gottes legten. Aber des Nachts, wenn der indische Himmel schwarz über dem von der Hitze erschöpften Land lag, würde sich niemand jemals einfallen lassen, die Götter zu stören.
    Doch in dieser Nacht nach der Schlacht betrat ein Mann den Tempel. Er war groß und dünn, mit weißem Haar und scharf geschnittenem, sonnengebräuntem Gesicht. Er war über sechzig Jahre alt, doch seine Haltung war immer noch kerzengerade, und er bewegte sich mit der Leichtigkeit eines viel jüngeren Mannes.
    Wie viele Europäer, die lange Zeit in Indien gelebt hatten, war er anfällig für schwächendes Fieber, doch sonst war er kerngesund, und Colonel Hector McCandless führte diese gute Gesundheit auf seine Religion und eine gesunde Lebensweise zurück, die enthaltsam bei Alkohol, Tabak und Fleisch war. Seine Religion war der Calvinismus, denn Hector McCandless war in Schottland aufgewachsen, und die guten Lektionen, die in seine junge, ernste Seele gepeitscht worden waren, hatte er nie vergessen. Er war ein ehrlicher Mann, hart und klug.
    Seine Seele war alt an Erfahrung, doch trotzdem wurde sie von den Götzenbildern beleidigt, die das schwache Licht der Laterne widerspiegelten, die er angezündet hatte, als er durch das immer offen stehende Tor des Tempels gegangen war.
    Er lebte jetzt seit über sechzehn Jahren in Indien und war mehr an diese heidnischen Schreine gewohnt als an die Kirchen seiner Kindheit, doch wenn er diese seltsamen Götter mit ihrer Vielzahl an Armen, ihren Elefantenköpfen, ihren grotesk gefärbten Gesichtern und ihren Kobramasken sah, missbilligte er sie. Die Missbilligung ließ er sich nie anmerken, denn das hätte seine Pflicht gefährdet, und McCandless glaubte, dass die Pflicht ein Meister war, der gleich hinter Gott kam.
    Er trug den roten Uniformrock und die Tartanhose der Schottischen Brigade 1 des Königs, ein Highland­Regiment, das McCandless’ ernstes Gesicht seit sechzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er hatte über drei­ßig Jahre bei der Brigade gedient, aber Geldmangel hatte seine Beförderung verhindert und so, mit dem Segen seines Colonels, hatte er einen Job bei der Armee der East India Company angenommen, die diese Teile Indiens beherrschte, die den Briten unterstellt waren. Zu seiner Zeit hatte er Bataillone von Sepoys, indischen Soldaten in europäischem Dienst, kommandiert, doch McCandless’ erste Liebe war das Landvermessen. Er hatte die Malabar-Küste und die Länge und Breite von Maisur vermessen, und bei diesen Tätigkeiten hatte er ein halbes Dutzend indische Sprachen gelernt und die Bekanntschaft von zahllosen Prinzen, Radschas und Nawabs gemacht. Nur wenige Menschen verstanden Indien so gut wie McCandless, und deshalb hatte ihn die Company zum Colonel befördert und ihn der britischen Armee als Chef des Nachrichtendienstes zugeteilt.
    Es war McCandless’ Aufgabe, General Harris über die Stärke und Aufstellung des Feindes zu informieren und, im Besonderen, herauszufinden, welche Verteidigungsanlagen die alliierten Armeen erwarteten, wenn sie Seringapatam erreichten.
    Es war seine Suche nach dieser besonderen Antwort, die Colonel McCandless in diesen alten Tempel gebracht hatte. Vor sieben Jahren hatte er den Tempel vermessen, als Lord Cornwallis’ Armee gegen Maisur marschiert

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