Sharpes Feuerprobe
Gehorsam braucht er, ja, aber ihre Liebe? Liebe ist was für Kinder, McCandless. Und für Götter und Frauen.«
McCandless lächelte und hielt es für müßig, sich darüber zu streiten. Er brauchte Appah Rao nicht zu überreden, Verrat zu begehen. Allein die Anwesenheit des Generals aus Maisur war Beweis dafür, dass er bereits auf halbem Weg war, den Sultan zu verraten, doch McCandless erwartete nicht, dass Appah Rao es würdelos tat. Es stand Stolz auf dem Spiel, und Appah Raos Stolz war groß, und man musste so sanft und rücksichtsvoll damit umgehen wie mit einer gespannten Duellpistole.
Appah Rao war schon immer so gewesen, sogar als junger Mann in der Armee der Company, und McCandless wusste diesen Stolz zu schätzen. Er hatte Appah Rao stets geachtet, und das war noch immer so, und er glaubte, dass die Achtung auf Gegenseitigkeit beruhte.
In diesem Glauben hatte der Colonel eine Botschaft nach Seringapatam geschickt. Sie war von einem der eingeborenen Agenten der Company, der als nackter Fakir durch das südliche Indien wanderte, übermittelt worden. Die Botschaft war in dem langen, fettigen Haar versteckt gewesen und hatte Appah Rao aufgefordert, sich mit seinem alten Offizier wieder zusammenzutun. Die Antwort hatte diesen Tempel und diese Nacht zu dem Treffen angegeben. Appah Rao spielte also mit dem Gedanken an Verrat, aber das hieß nicht, dass er die Sache leicht oder angenehm fand.
»Ich habe ein Geschenk«, wechselte McCandless das Thema. »Für Ihren Radscha.«
»Er hat Geschenke nötig.«
»Dann kommt dieses mit unserer ergebenen Ehrerbietung und größten Achtung.« McCandless nahm einen Lederbeutel aus seiner beschlagenen Felltasche und legte ihn neben die Laterne. In dem Beutel klirrten Münzen, als er ihn ablegte, und Appah Rao blickte darauf, rührte ihn jedoch nicht an. »Sagen Sie Ihrem Radscha, dass es unser Wunsch ist, ihn wieder auf seinen Thron zu setzen.«
»Und wer wird hinter seinem Thron stehen?«, wollte Appah Rao wissen. »Männer in roten Röcken?«
»Sie werden das«, sagte McCandless, »wie Ihre Familie es immer getan hat.«
»Und Sie?«, fragte der General. »Was wollen Sie?«
»Handeln. Das ist das Geschäft der Company: der Handel. Warum sollten wir Herrscher werden?«
Appah Rao schnaubte. »Weil ihr das immer sein wollt. Ihr kommt als Händler, doch ihr bringt Waffen und benutzt sie, um euch zu Steuereintreibern, Richtern und Henkern zu machen. Dann bringt ihr eure Kirchen.« Er erschauerte.
»Wir kommen, um zu handeln«, beharrte McCandless gelassen. »Und was ziehen Sie vor, General? Mit den Briten zu handeln oder von den Moslems beherrscht zu werden?«
Und das war die Frage, die Appah Rao in dieser Nacht zu diesem Tempel gebracht hatte, das wusste McCandless. Maisur war ein Hindu-Land, und seine alten Herrscher, die Wodeyars, waren Hindus wie ihr Volk, doch Tippus Vater, der grimmige Hyder Ali, war aus dem Norden gekommen und hatte ihren Staat erobert, und Tippu hatte den gestohlenen Thron seines Vaters geerbt. Um sich einen Hauch von Legalität zu geben, hatte Tippu wie zuvor sein Vater die alten Herrscherfamilien am Leben gelassen, doch die Wodeyars waren jetzt auf ein armes Dasein und öffentliches Auftreten nur bei Zeremonien beschränkt. Der neue Radscha war kaum mehr als ein Kind, doch für viele von Maisurs Hindus galt er immer noch als ihr rechtmäßiger Monarch, doch das war eine Meinung, die man am besten vor Tippu geheim hielt.
Appah Rao hatte die Frage des Schotten nicht beantwortet, und so formulierte McCandless sie anders. »Sind Sie der letzte ranghohe Hindu-Offizier in Tippus Armee?«
»Es gibt andere«, sagte Appah Rao ausweichend.
»Und der Rest?«
Appah Rao zögerte mit der Antwort. »Verfüttert an seine Tiger«, gab er schließlich zu.
»Und bald, General«, sagte McCandless leise, »wird es keine Hindu-Offiziere mehr in Maisur geben. Stattdessen einige sehr fette Tiger. Und wenn ihr uns besiegt, dann werdet ihr immer noch nicht sicher sein. Dann werden die Franzosen kommen.«
Appah Rao zuckte mit den Schultern. »Es sind bereits Franzosen in Seringapatam. Sie fordern nichts von uns.«
»Noch nicht«, sagte McCandless. »Aber lassen Sie mich erzählen, was die große Welt bewegt, General. Da gibt es einen neuen französischen General namens Bonaparte. Seine Armee sitzt jetzt am Nil, doch es gibt nichts in Ägypten, das Bonaparte oder die Franzosen interessiert. Sie blicken weiter nach Osten. Sie haben die Augen auf Indien. Bonaparte
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