Sharpes Flucht
Schwärze wiederzufinden. Er tastete nach der Hintertür, die in einen kleinen umschlossenen Hof führte. Das Mondlicht, das durch den Rauch drang, erfüllte den Hof mit unheimlichem Licht. In einer Ecke des Hofs stand eine Pumpe, und Sharpe bediente den Schwengel, um etwas Wasser in einen steinernen Trog zu pumpen. Er benutzte eine Hand voll Stroh, um sich den Dreck von den Stiefeln zu wischen, dann zog er sie aus und wusch sich die Hände. Er legte seinen Degengurt ab und trug Gurt, Stiefel und Degen zurück in die Küche. Dann schloss er die Tür und ging in die Knie, um in der Dunkelheit das Bett zu finden.
»Vorsicht«, sagte Sarah von irgendwoher, inmitten des Haufens aus Decken und grünem Rock.
»Was machst du …«, begann Sharpe, dann fiel ihm ein, dass das eine törichte Frage war, und er sprach sie nicht zu Ende.
»Ich glaube nicht, dass ich dort draußen besonders erwünscht war«, erklärte Sarah. »Nicht, dass Sergeant Harper nicht freundlich gewesen wäre, das war er durchaus, aber ich hatte den untrüglichen Eindruck, dass die beiden bestens ohne mich zurechtkommen würden.«
»Da hast du vermutlich recht«, sagte Sharpe.
»Und ich werde dich nicht wach halten«, versprach sie.
Aber das tat sie.
Es war Morgen, als Sharpe erwachte. Irgendwie war die Katze in die Küche gelangt und saß jetzt auf dem kleinen Regal neben dem Herd, wo sie sich säuberte und von Zeit zu Zeit Sharpe aus ihren gelben Augen einen Blick zuwarf. Sarahs linker Arm lag über Sharpes Brust gebreitet, und er staunte, wie glatt und hell ihre Haut war. Sie schlief noch, eine Strähne ihres goldenen Haars erzitterte bei jedem Atemzug vor ihren geöffneten Lippen. Sharpe zog sich unter ihrer Umarmung hervor und zwängte sich nackt aus der Küchentür, gerade weit genug, um in den Wohnraum blicken zu können.
Harper saß im Sessel, Joana schlief in seinem Schoß. Beim Quietschen der Türangeln drehte sich der Ire um. »Alles ruhig, Sir«, flüsterte er.
»Du hättest mich wecken sollen.«
»Warum denn? Hier rührt sich doch nichts.«
»Und Hauptmann Vicente?«
»Der hat sich nach draußen geschlichen, Sir. Wollte sehen, was vor sich geht. Er hat versprochen, hier in der Nähe zu bleiben, Sir.«
»Ich mache Tee«, sagte Sharpe und schloss die Tür.
Ein Korb mit Anmachholz stand neben dem Herd, und in einer Kiste lag klein gespaltenes Holz. Er arbeitete so leise wie möglich, hörte aber, wie sich Sarah bewegte, drehte sich um und sah, dass sie ihm aus dem Gewirr der Decken entgegenblickte. »Du hast recht«, sagte sie. »Die Armee bringt einem so einiges bei.«
Sharpe lehnte sich gegen den Herd. Sie setzte sich auf, hielt sich Harpers grünen Rock vor die Brüste, und er betrachtete sie. Sie erwiderte seinen Blick, und keiner von ihnen sagte ein Wort, bis sie sich plötzlich am Oberschenkel kratzte. »Als du in Indien warst«, fragte sie unvermittelt, »hast du da Leute getroffen, die glaubten, nach dem Tod käme man noch einmal als anderer Mensch zurück auf die Erde?«
»Nicht dass ich wüsste«, erwiderte Sharpe.
»Mir wurde erzählt, dort glaubt man das«, sagte Sarah ernst.
»Dort glaubt man allen möglichen Unsinn. Ich bin da gar nicht mehr mitgekommen.«
»Falls ich noch einmal zurückkomme«, sagte Sarah, neigte ihren Kopf und lehnte ihn gegen die Wand, »dann als Mann.«
»Das wäre eine ziemliche Verschwendung«, entgegnete Sharpe.
»Aber ihr seid frei«, sagte sie und sah zu den getrockneten Kräutern auf, die von den Deckenbalken hingen.
»Ich bin nicht frei«, erwiderte Sharpe. »Ich bin ganz in den Händen der Armee. Die klebt an mir wie die Flöhe.« Er sah zu, wie sie sich noch einmal kratzte.
»Das, was wir gestern Nacht getan haben«, sagte Sarah, errötete ein wenig und machte damit deutlich, dass sie sich zwingen musste, über etwas zu sprechen, was in der Dunkelheit völlig natürlich geschehen war, »das braucht dich nicht zu verändern. Du bleibst derselbe Mensch. Ich nicht.«
Sharpe hörte Vicentes Stimme im Wohnzimmer, und einen Herzschlag später klopfte jemand an die Küchentür. »In einer Minute, Jorge!«, rief Sharpe nach draußen. Er blickte Sarah in die Augen. »Sollte ich mich schuldig fühlen?«
»Nein, nein«, entgegnete Sarah schnell. »Es ist nur so, dass sich alles verändert hat. Für eine Frau …«, wieder sah sie hinauf zu den Kräutern, »… für eine Frau ist das keine kleine Sache. Für einen Mann, denke ich, ist es das.«
»Ich werde dich nicht allein sitzen
Weitere Kostenlose Bücher