Sharpes Flucht
er riss es aus seinem dicken Block und überreichte es ihr mit einer weiteren Verbeugung. Ein paar Minuten lang sprachen sie miteinander, oder eher sprach der Offizier, und Sarah schien allem, was er sagte, zuzustimmen und nur hier und da ein Wort hinzuzufügen. Endlich küsste der Offizier ihr die Hand, nickte Sharpe freundlich zu und verschwand die Stufen hinauf durch die Gasse. »Was war denn das?«, fragte Sharpe.
»Ich habe ihm gesagt, wir wären Holländer. Er schien zu glauben, du wärst ein Kavallerist.«
»Er hat den Degen, meine Hose und die Stiefel gesehen«, erklärte Sharpe. »Argwohn hat er nicht geschöpft?«
»Er hat gesagt, du wärst das Inbild des modernen Soldaten«, sagte Sarah und betrachtete die Zeichnung.
»Das bin ich«, bestätigte Sharpe, »ein wahres Kunstwerk.«
»Tatsächlich hat er gesagt, du wärst das Inbild des Volkszorns, der auf eine veraltete, korrupte Welt losgelassen wird.«
»Zum Teufel noch mal.«
»Und er hat gesagt, es sei eine Schande, was in der Stadt vor sich ginge, aber es sei nun einmal unvermeidlich.«
»Was spricht gegen Disziplin?«
»Unvermeidlich«, wiederholte Sarah und ignorierte Sharpes Frage, »weil Coimbra diese veraltete Welt voller Aberglauben und Privilegien repräsentiert.«
»Er war also wieder einmal ein Crapaud voll mit …«, begann Sharpe.
»Scheiße?«, unterbrach ihn Sarah.
Sharpe betrachtete sie. »Du bist ein seltsames Wesen, mein Herz.«
»Gut«, sagte sie.
»Hast du geschlafen?«, fragte Sharpe sie.
»Ich habe geschlafen, ja. Jetzt bist du dran.«
»Jemand muss Wache stehen«, sagte Sharpe, obwohl er diese Arbeit nicht allzu gut erledigt hatte. Er hatte fest geschlafen, als der französische Offizier gekommen war, und es war pures Glück gewesen, dass es sich lediglich um einen Mann mit einem Zeichenblock gehandelt hatte, nicht um einen Bastard, der auf Plünderung aus war. »Ich weiß, was du tun könntest: nachsehen, ob sich das Feuer in der Küche anfachen lässt, und uns Tee machen.«
»Tee?«
»In meinem Proviantbeutel sind Teeblätter«, sagte Sharpe. »Du musst sie herauslöffeln, und es mischt sich immer ein bisschen Schießpulver hinein, aber die meisten von uns mögen den Geschmack.«
»Sergeant Harper ist in der Küche«, sagte Sarah verlegen.
»Hast du Angst vor dem, was du da sehen könntest?«, fragte Sharpe mit einem Lächeln. »Ihn wird es nicht stören. In der Armee gibt es nicht viel Privatleben. Die bringt einem so einiges bei, die Armee.«
»Das stelle ich auch gerade fest«, bemerkte Sarah, und dann ging sie in die Küche, kam jedoch gleich darauf zurück, um zu vermelden, dass der Ofen kalt war.
Sie hatte sich so leise bewegt, wie sie nur konnte, aber dennoch hatte sie Harper geweckt, der sich aus seinem provisorischen Bett wälzte und mit verschleierten Augen in den kleinen Wohnraum trat. »Wie spät ist es?«
»Einbruch der Nacht«, antwortete Sharpe.
»Alles still?«
»Von deinem Schnarchen abgesehen, ja. Und wir hatten Besuch von einem Froschfresser, der mit Sarah über den Zustand der Welt geschwatzt hat.«
»Sie ist in einem abscheulichen Zustand, ja, das ist sie«, sagte Harper. »Eine Schande, wirklich.« Er schüttelte den Kopf, dann hob er die Salvenbüchse. »Sie sollten sich ein bisschen schlafen legen, Sir. Lassen Sie mich eine Weile Wache stehen.« Er drehte sich um und lächelte, als Joana aus der Küche trat. Sie hatte ihr zerrissenes Kleid ausgezogen und schien nicht mehr am Leib zu tragen als das Hemd des Franzosen, das ihr bis auf die Oberschenkel reichte. Sie legte Harper die Arme um die Taille, lehnte ihren dunklen Kopf an seine Schulter und lächelte Sharpe entgegen. »Wir werden beide wachen«, sagte Harper.
»Nennt man das heute so?«, fragte Sharpe. Er nahm sein Gewehr. »Weckt mich, wenn ihr müde werdet«, sagte er. Er vermutete, dass er ordentlichen Schlaf nötiger hatte als Tee, aber Harper, das wusste er, würde vermutlich eine Gallone trinken. »Wollt ihr erst noch Tee kochen? Wir wollten gerade den Ofen anzünden.«
»Ich brühe welchen auf der Feuerstelle, Sir.« Harper nickte in Richtung der kleinen Feuerstelle, über der er einen dreibeinigen Kessel sah, der dazu gedacht war, in der Glut zu stehen. »Im Garten gibt es Wasser«, fügte er hinzu und nickte diesmal in Richtung der Regentonne. »Die Küche gehört also ganz Ihnen, Sir. Und schlafen Sie gut, Sir.«
Sharpe duckte sich unter der niedrigen Tür hindurch, die er schloss, um sich in fast völliger
Weitere Kostenlose Bücher