Sharpes Flucht
Mädchen war dreist. Aber schön war sie auch, und er bewunderte die Linie ihres Halses, auf die der Schatten ihres hellen Haars fiel. So weiße Haut, dachte er, und so zart. »Sie unterrichten sie in Französisch«, sagte er. »Warum?«
»Weil die Frau des Majors es von mir erwartet«, antwortete Sarah. »Weil es die Sprache der Diplomatie ist. Weil Kenntnisse der französischen Sprache zu den Merkmalen der gehobenen Gesellschaft gehören.«
Ferragus’ Kehle entrang sich ein knurrender Laut, der offenbar seinem Urteil über die gehobene Gesellschaft Ausdruck verlieh. Dann zuckte er mit den Schultern. »Zumindest wird die Sprache von Nutzen sein, wenn die Franzosen hierherkommen«, sagte er.
»Wenn die Franzosen hierherkommen«, sagte Sarah, »dann sollten wir längst fort sein. Lautet so nicht der Befehl der Regierung?«
Ferragus zuckte zusammen, als er seine rechte Hand bewegte. »Aber womöglich kommen sie ja jetzt gar nicht. Nicht, wenn sie die Schlacht verlieren.«
»Die Schlacht?«
»Ihr Lord Wellington steht in Bussaco. Er hofft, dass die Franzosen ihn dort angreifen.«
»Ich bete dafür, dass sie das tun«, erklärte Sarah zuversichtlich. »Denn dann wird er sie besiegen.«
»Vielleicht«, erwiderte Ferragus. »Oder aber Ihr Lord Wellington könnte tun, was Sir John Moore in La Coruña getan hat: kämpfen, siegen und dann davonlaufen.«
Sarah schniefte durch die Nase, um ihre Ansicht zu dieser Aussage kundzutun.
»Os ingleses« , sagte Ferragus hart, »por mar.«
Die Engländer gehören aufs Meer, hatte er gesagt. Das entsprach der allgemeinen Überzeugung in Portugal. Die Briten waren Opportunisten, die auf Siege hofften, aber vor jeder möglichen Niederlage davonrannten. Sie waren gekommen, sie hatten gekämpft, aber letzten Endes würden sie nicht bleiben. Os ingleses por mar .
Sarah fürchtete beinahe, dass Ferragus recht hatte, aber das konnte sie nicht eingestehen. »Sie haben gesagt, Ihr Bruder hat Sie geschickt, um uns zu beschützen?«, fragte sie stattdessen.
»Das hat er. Er kann nicht selbst herkommen. Er muss beim Heer bleiben.«
»Dann verlasse ich mich auf Sie, senhor . Sie müssen dafür sorgen, dass ich in Sicherheit bin, wenn, wie Sie es ausdrücken, die Engländer aufs Meer gehen. Ich kann nicht hierbleiben, wenn die Franzosen kommen.«
»Sie können nicht hierbleiben?«
»Natürlich nicht. Ich bin Engländerin.«
»Ich werde Sie beschützen, Miss Fry«, sagte Ferragus.
»Ich bin froh, das zu hören«, erwiderte sie brüsk und wandte sich wieder dem Kessel zu.
Ziege, dachte Ferragus, hochnäsige englische Ziege. »Vergessen Sie meinen Tee«, brummte er und stampfte aus der Küche.
Und dann hörte sie mit halbem Ohr in der Entfernung ein Geräusch wie Donnerschläge. Es klang auf und verebbte, verhallte im Nichts, dann erklang es von Neuem, und wenn es am lautesten war, erzitterte das Glas der Fenster sachte in den Rahmen. Sarah starrte hinaus in den Hof, sah den kalten grauen Nebel und wusste, dass es keine Donnerschläge waren, die sie von so weit weg hörte.
Es waren die Franzosen.
Denn der Morgen graute, und in Bussaco hatte das Geschützfeuer begonnen.
KAPITEL 3
Sharpe hatte schlecht geschlafen. Der Boden war feucht, die Nacht wurde Stunde um Stunde kälter, und er hatte Schmerzen. Seine verletzten Rippen stachen bei jeder kleinsten Bewegung wie Messer, und als er den Versuch zu schlafen schließlich aufgab und in der Finsternis vor dem Morgengrauen aufstand, wollte er sich sogleich wieder niederlegen, weil ihm alles wehtat. Er betastete seine Rippen und fragte sich, ob die Verletzungen womöglich schlimmer waren, als er befürchtet hatte. Sein rechtes Auge war geschwollen, schmerzte, wenn er es berührte, und ließ sich nur zur Hälfte öffnen.
»Sind Sie wach, Sir?«, rief eine Stimme aus der Nähe.
»Ich bin tot«, antwortete Sharpe.
»Einen Becher Tee, Sir?« Die Stimme gehörte Matthew Dodd, einem Schützen aus Sharpes Kompanie, der erst kürzlich während Sharpes Abwesenheit zum Corporal befördert worden war. Knowles hatte Dodd den zusätzlichen Streifen überreicht, und Sharpe hatte der Beförderung zugestimmt.
»Danke, Matthew«, erwiderte Sharpe und zog eine schmerzverzerrte Grimasse, während er sich bückte, um ein paar feuchte Stücke Holz aufzuheben und beim Feuermachen zu helfen. Dodd hatte bereits Feuerstahl und Feuerstein zum Einsatz gebracht, um ein wenig Anmachholz zum Brennen zu bringen, und blies jetzt in die helle Flamme.
»Dürfen wir
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