Sharpes Flucht
zu verschwinden. Wenn die Franzosen kamen, wurde von den Männern erwartet, dass sie innerhalb einer halben Minute Aufstellung einnehmen konnten.
Zwei Ehefrauen von Männern der Leichten Kompanie saßen beim Feuer und bearbeiteten die Bajonette mit Schleifsteinen. Über einen Witz des Schützen Hagman brachen sie in schallendes Gelächter aus. Sergeant Read, der sich im Augenblick nicht im Dienst befand, lag auf einem Knie, hatte eine Hand an der Muskete und betete. Schütze Harris, der behauptete, an keinen irgendwie gearteten Gott zu glauben, stellte sicher, dass sein Glücksbringer, eine Kaninchenpfote, in seinem Beutel steckte, während Ensign Iliffe versuchte, sich hinter dem Zelt des Colonels zu verstecken, wo er sich übergeben musste. Sharpe rief nach ihm. »Mister Iliffe!«
»Sir.« Iliffe, dem Rinnsale gelblicher Flüssigkeit vom unrasierten Kinn tropften, lief nervös hinüber zu Sharpe, der seinen Degen aus der Scheide zog.
»Nehmen Sie den, Mister Iliffe«, sagte Sharpe und tat, als habe er nicht bemerkt, dass sich der Ensign übergeben hatte. »Suchen Sie den Schmied der portugiesischen Kavallerie, und lassen Sie da eine Kante einschleifen. Eine ordentliche Kante. Eine, mit der ich mich rasieren kann.« Er gab dem Jungen zwei Schilling, denn ihm war klar geworden, dass sein Rat von vorhin, Iliffe solle einen Schilling selbst bezahlen, wenig praktikabel gewesen war, weil Iliffe vermutlich keinen Schilling übrig hatte. »Los, machen Sie sich auf den Weg. Bringen Sie es mir wieder, so schnell Sie können.«
Robert Knowles, der bis zur Taille nackt war, rasierte sich vor Lawfords Zelt. Die Haut auf seiner Brust und seinem Rücken war milchweiß, während sein Gesicht so dunkel war wie altes Holz. »Sie sollten sich einen Schnurrbart wachsen lassen, Robert«, sagte Sharpe.
»Was für ein scheußlicher Gedanke«, erwiderte Knowles und blickte in den Spiegel, der gegen die Wasserschüssel gelehnt stand. »Ich hatte einen Onkel mit Schnurrbart, und der ist bankrottgegangen. Wie fühlen Sie sich?«
»Grauenhaft.«
Knowles hielt mit halb eingeschäumtem Gesicht und dem Rasiermesser an der Wange inne und betrachtete Sharpe. »Sie sehen auch grauenhaft aus. Sie sollten reingehen, Richard, der Colonel erwartet Sie.«
Sharpe erwog, sich das Rasiermesser zu borgen, aber sein Kiefer war dort, wo er getreten worden war, noch immer empfindlich, und er kam zu dem Schluss, dass er einen Tag ohne Rasur auskommen konnte, auch wenn sein Kinn heute Abend schwarz wie Schießpulver sein würde. Er duckte sich unter dem Zelteingang hindurch und fand Lawford an dem aufgebockten Tisch sitzend vor, der mit feinem Leinen und teurem Porzellan gedeckt worden war. »Gekochte Eier«, begrüßte der Colonel ihn warmherzig. »Ich weiß ein ordentlich gekochtes Ei zu schätzen. Setzen Sie sich, Sharpe. Das Brot ist nicht allzu hart. Was machen Ihre Wunden?«
»Ich bemerke sie kaum noch, Sir«, log Sharpe.
»Tapfer, Mann.« Der Colonel löffelte zerlaufendes Eigelb in seinen Mund, dann wies er durch die Zeltwand in Richtung Osten. »Der Nebel legt sich. Meinen Sie, die Franzosen werden kommen?«
»Major Hogan schien sich dessen sicher zu sein, Sir.«
»Dann werden wir unsere Pflicht tun«, sagte Lawford. »Und für das Bataillon wird es eine ausgezeichnete Übung sein, oder? Echte Ziele! Hier ist Kaffee, sogar sehr guter Kaffee. Bedienen Sie sich.«
Wie es aussah, war Sharpe Lawfords einziger Gast, denn es gab weder ein Gedeck noch Silber für einen weiteren Mann. Er schenkte sich Kaffee ein, nahm sich ein Ei und eine Scheibe Brot und begann schweigend zu essen. Er fühlte sich unwohl. Seit mehr als zehn Jahren kannte er Lawford bereits, aber es fiel ihm nichts ein, das er hätte sagen können. Manchen Männern, wie zum Beispiel Hogan oder Major Forrest, ging niemals der Gesprächsstoff aus. Man konnte sie auf eine Gruppe Fremder loslassen, und sie würden schnattern wie die Elstern, aber Sharpe fühlte sich grundsätzlich wie stumm geschlagen, es sei denn, er befand sich unter Leuten, die er wirklich gut kannte. Den Colonel schien das Schweigen nicht zu stören. Er aß ohne Unterbrechung und las dabei eine vier Wochen alte Ausgabe der Times. »Guter Gott«, entfuhr es ihm irgendwann.
»Was ist denn, Sir?«
»Tom Dyton ist tot. Der arme alte Junge. In fortgeschrittenem Alter, heißt es hier. Er muss um die siebzig gewesen sein und keinen Tag jünger.«
»Ich kannte ihn nicht, Sir.«
»Er hatte Landbesitz in Surrey. Ein
Weitere Kostenlose Bücher