Sharpes Flucht
Entscheidung anfocht, hätte das lediglich zur Folge, dass der Colonel von seiner Autorität Gebrauch machte.
»Und was Sie betrifft, Sharpe«, Lawford lächelte jetzt, er war wohl der Meinung, das Schlimmste sei überstanden, »ich denke, Sie könnten eine Pause gut gebrauchen. Dieser Sturz, als Sie gestern gestolpert sind, hat Ihnen ganz schön zugesetzt, was? Sie sehen fix und fertig aus. Also soll Cornelius uns mal zeigen, was er kann, einverstanden? Und Sie können sein Pferd nehmen und mir als zweites Paar Augen dienen. Mich beraten.«
»Mein Rat lautet«, konnte Sharpe sich nicht verkneifen einzuwerfen, »lassen Sie den besten Mann die Leichte Kompanie befehligen.«
»Und wenn ich das tue«, erwiderte Lawford, »werde ich nie erfahren, über was für Potential Cornelius verfügt. Nein, Sharpe, lassen Sie ihm seinen Auslauf, einverstanden? Sie haben sich doch bereits bewiesen.« Lawford sah Sharpe an, er wünschte seine Zustimmung zu seinem Vorschlag, aber wiederum sagte Sharpe kein Wort. Ihm war zumute, als sei seiner Welt der Boden entzogen worden.
Und dann wurde im Tal ein Geschütz abgefeuert.
Die Granate fuhr kreischend durch den Nebel, schoss als schwarzer Ball, der sich gegen den klaren Himmel abhob, ins Sonnenlicht, flog im Bogen über die Truppen hinweg und landete nahe der neu errichteten Straße, die die britischen und die portugiesischen Truppen auf dem Hügel miteinander verband. Nach dem ersten Aufprall explodierte sie, richtete zwar keinen Schaden an, aber ein fast erloschener Splitter des Granatengehäuses streifte Lawfords Zelt und ließ die straff gespannte graue Leinwand erzittern.
»Zeit zum Aufbruch, Sharpe«, sagte Lawford und ließ seine von Eierflecken übersäte Serviette fallen.
Denn die Franzosen kamen.
Dreiunddreißig französische Bataillone, aufgeteilt in drei Schlachtkolonnen, wurden über den Fluss geführt und marschierten den hinteren Hang hinauf, der noch in dichtem Nebel lag. Das war lediglich der erste Angriff. Die Truppen für den zweiten Angriff wurden erst noch zusammengestellt, die zweiundzwanzig Bataillone stellten sich dazu in zwei weiteren breiten Schlachtkolonnen zu beiden Seiten der besseren Straße auf. Sie würden zum Nordende der Anhöhe vorstoßen, während eine dritte, schmalere Kolonne ihnen folgen würde, um den Erfolg perfekt zu machen. Zusammen wirkten diese beiden Angriffslinien wie Hammer und Amboss. Die erste und zugleich schwerste Attacke würde die schlechtere Straße entlang bis zum niedrigsten Teil des Höhenzugs verlaufen, die Truppen würden den breiten Gipfel einnehmen und sich dann nordwärts wenden, um in die Verteidiger zu stoßen, die verzweifelt versuchen würden, den zweiten Schlag abzufangen.
Marschall Masséna, der nahe bei den Truppen wartete, die diesen zweiten donnernden Schlag ausführen würden, stellte sich vor, wie die englischen und portugiesischen Truppen in Panik gerieten. Er sah sie vor sich, wie sie von der Anhöhe flüchteten, ihr Gepäck und ihre Waffen von sich warfen, alles stehen und liegen ließen, was ihnen die Flucht erschwerte, und erst dann würde er seine Kavallerie aussenden, die über das nördliche Ende der Anhöhe fegen und die Flüchtenden abschlachten würde. Er trommelte mit den Fingern auf dem Sattelknauf den Rhythmus der vom Nebel gedämpften Trommeln, die im Süden aufklangen. Diese Trommeln trieben die erste Angriffslinie den Hang hinauf.
»Wie spät ist es?«, fragte er einen seiner Adjutanten.
»Viertel vor sechs, Sir.«
»Der Nebel legt sich, meinen Sie nicht auch?« Masséna sah mit seinem einen Auge in die weißen Schwaden. Der Kaiser hatte ihm das andere bei einem Schießunfall genommen, als sie gemeinsam auf der Jagd gewesen waren, und seitdem trug Masséna stets eine Augenklappe.
»Vielleicht ein wenig, Sir«, antwortete der Adjutant zweifelnd.
Heute Nacht, dachte Masséna, würde er in dem Mönchskloster schlafen, das sich angeblich am abgewandten Hang der Anhöhe befand. Er würde einen Trupp Dragoner aussenden, die Henriette aus Tondela, von wo er in der vergangenen Nacht so abrupt abberufen worden war, hierher geleiten sollte. Er lächelte, als er an ihre weißen Arme dachte, die sich nach ihm ausgestreckt hatten, während er sich ankleidete. Er hatte eine Stunde oder zwei mit dem Heer geschlafen und war dann früh in der kalten, nebligen Morgendämmerung aufgestanden, aber der Nebel, so vermutete er, war den Franzosen freundlich gesinnt. Er würde es den Truppen ermöglichen, den
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