Sharpes Sieg
Sharpe, verliert der Feind die Moral. Er hält uns dann für unbesiegbar. Veni, vidi, vici .«
»Ich spreche nicht Hindi, Sir, jedenfalls nicht richtig.«
»Das ist Latein, Sharpe. ›Ich kam, sah und siegte.‹ Wie steht es inzwischen mit Ihrem Lesen?«
»Es geht gut, Sir, sehr gut«, antwortete Sharpe begeistert, doch in Wirklichkeit hatte er in den vergangenen vier Jahren außer den Lagerlisten und Dienstplänen und Major Stokes Reparaturanweisungen nicht viel gelesen. Es waren Colonel McCandless und sein Neffe, Lieutenant Lawford, gewesen, die Sharpe das Lesen beigebracht hatten, als sie die Gefängniszelle Tippus geteilt hatten. Das war vier Jahre her.
»Ich werde Ihnen eine Bibel geben, Sharpe«, sagte McCandless und beobachtete die Eskalade-Trupps, die stetig voranmarschierten. »Es ist das einzige lesenswerte Buch.«
»Das würde mir gefallen, Sir«, sagte Sharpe mit ausdruckslosem Gesicht. Dann sah er, dass die Feldwachen vorausrannten, um eine Plänkler-Linie zu bilden, die die Mauer mit Musketenfeuer belegen würde. Immer noch schoss niemand von den Mauern der Stadt, obwohl jetzt sowohl die Feldwache als auch die beiden Leitertrupps auf Musketenschussweite heran waren.
»Wenn Sie mir die Frage erlauben, Sir«, sagte Sharpe zu McCandless, »was hindert diesen Scheißer – Verzeihung, Sir –, was hindert Mister Dodd daran, auf der anderen Seite der Stadt zu fliehen, Sir?«
»Sie verhindern das, Sharpe.« McCandless wies auf die Kavallerie, die jetzt auf beiden Seiten der Stadt davongaloppierte. Die Briten des 19. Dragoner-Regiments ritten in dichter Formation, doch die anderen Reiter waren verbündete Marathen oder silladars aus Haidarabad oder Maisur, und sie ritten in einem lockeren Haufen. »Ihre Aufgabe ist es, jeden am Verlassen der Stadt zu hindern«, fuhr McCandless fort. »Natürlich nicht die Zivilisten, sondern alle Soldaten.«
»Aber Dodd hat ein ganzes Regiment, Sir.«
McCandless ging über das Problem hinweg. »Ich bezweifle, dass ihm zwei ganze Regimenter nützen werden. In ein, zwei Minuten wird pure Panik in Ahmadnagar herrschen, und wie soll Dodd entkommen? Er wird sich einen Weg durch eine Menge entsetzter Zivilisten kämpfen müssen. Wir werden ihn in der Stadt finden, wenn er noch da ist.«
»Das ist er«, warf Sevajee ein. Er starrte durch ein kleines Fernrohr auf die Mauer. »Ich kann die Uniformen seiner Männer auf dem Wehrgang sehen. Weiße Uniformröcke.« Er wies nach Westen, jenseits der Strecke der Mauer, die vom 78. Regiment angegriffen werden würde.
Die Plänkler eröffneten plötzlich das Feuer. Sie waren längs des südlichen Randes der Stadt verstreut, und ihr Musketenfeuer war sporadisch – und sinnlos, wie Sharpe fand. Männer, die auf eine Stadt feuerten? Die Musketenkugeln schlugen gegen die rötlichen Steine der Mauer, und das Echo des Kugelhagels hallte von ihnen wider, doch die Verteidiger ignorierten die Bedrohung. Keine Muskete antwortete auf die Schüsse, keine Kanone feuerte. Auf den Wehrgängen blieb es stumm. Rauchwolken zogen von der Linie der Plänkler, die weiterhin die roten Quadern beschossen.
Colonel Wallaces Angriffstrupp war spät dran, während die Männer mit Kilts vom 78. Regiment, die die Mauer links des Tors erklettern sollten, den anderen Angreifern weit voraus waren. Sie rannten über eine freie Fläche, ihre beiden Leitern in voller Sicht des Feindes, doch immer noch wurden sie von den Verteidigern ignoriert. Ein Regiment von Sepoys schwenkte nach links ab, um die Linie der Plänkler mit ihrem Musketenfeuer zu verstärken. Ein Dudelsackpfeifer spielte im Laufen, und sein Instrument klang, als hätte es den Schluckauf. Das alles kam Sharpe schändlich vor. Die Schlacht – wenn sie überhaupt so genannt werden konnte – hatte fast zwanglos begonnen, und der Feind schien sie nicht mal als Bedrohung zu betrachten. Das Feuer der Plänkler war verstreut, die Angriffstrupps waren in voller Stärke. Doch es gab kein Drängeln und keine Zeremonie. Es sollte eine geben, dachte Sharpe. Eine Kapelle sollte spielen, Fahnen flattern, der Feind sichtbar und bedrohlich sein, doch stattdessen war alles halbherzig und unwirklich.
»Hier entlang, Sharpe«, sagte McCandless und bog ab zu Colonel Wallace, der seine Männer in Formation brachte. Ein Dutzend blau berockte Kanoniere drängten sich um die Sechspfünder-Kanone, offenbar das Geschütz, das gegen das Stadttor eingesetzt werden würde. Jenseits davon befand sich eine Batterie von vier
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