Sharpes Trafalgar
Sharpes Quartier hatte kommen sehen, und so hatte er es für seine Pflicht gehalten, Sharpe mit seinem Verdacht zu konfrontieren.
»Aber als ich Ensign Sharpe mit meinen Anschuldigungen zur Rede stellte«, schrieb er, »und ihm vorwarf, den Stand Ihrer Ladyschaft zu seinem Vorteil zu missbrauchen, leugnete er nicht die Umstände, sondern drohte mir mit Mord.« Braithwaite hatte das Wort unterstrichen. »Es war dieser Umstand, Mylord, der mich meine Pflicht vergessen und feige schweigen ließ.« Es mache ihm kein Vergnügen, schloss Braithwaite seinen Brief, Seine Lordschaft über die schändlichen Ereignisse zu informieren, besonders weil Seine Lordschaft ihm immer solch außerordentliche Freundlichkeit gezeigt habe.
Lady Grace ließ den Brief auf ihren Schoß sinken.
»Er lügt«, sagte sie. »Er lügt.« In ihren Augen schimmerten Tränen.
Das Deck war von Geräuschen erfüllt. Die Geschütze der Pucelle hatten zu feuern begonnen, und das Donnern der Kanonen hallte durch das Schiff und ließ die beiden Laternen an der Decke schwanken. Der Lärm hielt an und wurde lauter, als die Schüsse näher beim Heck krachten. Dann gab es einen fruchtbaren Schlag, als der Bug des spanischen Schiffs mit der Seite der Pucelle kollidierte. Es folgte ein gewaltiges Knirschen, als Tonnen von Holz über den Rumpf schabten. Ein Mann rief etwas, ein Geschütz feuerte, dann drei weitere.
Dann herrschte eine Stille, die etwas Unheilvolles hatte.
»Er hat gelogen«, sagte Lord William sanft in die Stille und neigte sich vor, um den Brief vom Schoß seiner Frau zu nehmen. Grace bemühte sich noch, ihn festzuhalten, doch Lord William war zu schnell. »Natürlich hat Braithwaite gelogen«, fuhr Seine Lordschaft fort. »Es muss ihm ein perverses Vergnügen bereitet haben, mir von deinem abscheulichen Verhalten zu berichten. Man merkt seine Freude an jeder Zeile des Briefes. Und ich habe ihm gewiss keine Freundlichkeit gezeigt. Der Gedanke ist so lächerlich wie beleidigend.«
»Er lügt«, sagte Lady Grace trotzig. Eine Träne zitterte in ihrem Augenwinkel und kullerte dann die Wange hinab.
»Ich soll ihm außerordentliche Freundlichkeit gezeigt haben!«, sagte Lord William ätzend. »Warum sollte ich so etwas tun? Ich habe ihm eine kleines Salär gezahlt, entsprechend seinen Diensten, und das war alles.« Lord William faltete sorgfältig den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche. »Ein Umstand verwirrt mich jedoch«, fuhr er fort. »Warum hat er Sharpe damit konfrontiert? Warum kam er nicht gleich zu mir? Es ist mir vollkommen rätselhaft. Warum hat er mit Sharpe gesprochen? Was hat Braithwaite von ihm erwartet?«
Lady Grace sagte nichts, das Ruder knarrte in seiner Aufhängung, und ein feindliches Geschoss traf die Pucelle mit einem Donnern. Dann war es wieder still.
»Dann fiel mir wieder ein, dass Sharpe einige Wertsachen bei diesem elenden Cromwell deponiert hatte. Ich hielt das für eigenartig, denn popelige Ensigns sind normalerweise arm, aber ich nehme an, dass er einigen Reichtum in Indien geplündert haben konnte. Hat Braithwaite versucht, ihn zu erpressen? Was meinst du?«
Lady Grace schüttelte den Kopf, nicht als Antwort auf die Frage ihres Mannes, sondern als ob sie das ganze Thema abschütteln wollte.
»Oder vielleicht hat Braithwaite versucht, dich zu erpressen?«, sagte Lord William und lächelte seine Frau an. »Er pflegte dich so schmachtend anzuschauen. Es amüsierte mich, denn es war klar, was er dachte.«
»Ich habe ihn gehasst«, platzte Lady Grace heraus.
»Eine übertriebene Verschwendung von Gefühl, mein Liebling«, sagte Lord William. »Er war eine unbedeutende Person, kaum wert, ihn zu hassen. Aber, und dies ist der Kernpunkt unserer Unterhaltung, hat er die Wahrheit gesagt?«
»Nein!«, schrie Lady Grace.
Lord William hob die Pistole und untersuchte ihr Schloss im Lampenschein. »Ich habe bemerkt, wie deine Stimmung sich besserte, nachdem wir an Bord der Calliope gegangen sind. Es hat mich natürlich gefreut, denn du bist in diesen letzten Monaten übernervös und angespannt gewesen, aber seit wir auf Cromwells Schiff waren, hatte es den Anschein, als wärst du glücklich. In der Tat war in den letzten paar Tagen eine Munterkeit in dir, die erstaunlich ist. Bist du schwanger?«
»Nein«, log Lady Grace.
»Dein Mädchen hat mir erzählt, dass dir an den meisten Morgen übel ist. Morgendliche Übelkeit, sagt dir das etwas?«
Grace schüttelte wieder den Kopf. Tränen rannen über ihre
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