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Sharpes Weihnacht

Sharpes Weihnacht

Titel: Sharpes Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Caillous Adler retten und so dem Erschießungskommando entgehen.
    Kurz nach Sonnenaufgang passierte der nächste Unfall. Zwei Pferdekarren begleiteten die Kolonne. Auf einem fuhr die hochschwangere Maria, und der andere transportierte die wenigen Habseligkeiten, die sie aus dem Fort hatten mitnehmen können. Die Vorderachse des zweiten Karrens brach, und plötzlich zogen die Pferde nur noch splitternde Holzstümpfe über die zerklüftete Straße. Gudin seufzte. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als den Karren mit allem Hab und Gut zurückzulassen. Es waren wertlose Dinge, aber das Eigentum von Männern, die ohnehin nur wenig besaßen. Gudin ließ seine Männer das Gepäck durchsuchen, um zu sehen, was sie noch auf dem Rücken tragen konnten. Caillou verfluchte Gudin und erklärte, das sei Zeitverschwendung, und Gudin wusste, dass Caillou recht hatte, aber auch diesmal war es nicht seine Schuld. Also rettete er, was er retten konnte, und befahl, den Karren von der Straße zu wuchten. Zu dem, was zurückblieb, gehörten auch seine Bücher. Es waren nicht viele, doch Gudin liebte sie alle, aber sie waren schlicht zu schwer, als dass irgendjemand sie in seinem Tornister hätte mitschleppen können. Gudin rettete nur seine Tagebücher, einschließlich der beiden Bände, die er in Indien geschrieben hatte, als er geglaubt hatte, die Briten aus Mysore vertreiben zu können. Aber die Rotröcke hatten gewonnen, und seitdem war nichts mehr so, wie es mal gewesen war.
    Gudin dachte oft an Indien. Als er dort gewesen war, hatte er häufig über die Fliegen und die Hitze geflucht, doch seit der Rückkehr nach Europa hatte er seinen Weggang mehr und mehr bereut. Er vermisste die Gerüche, die Farben und das Geheimnisvolle. Er vermisste das bunte Spektakel einer indischen Armee auf dem Marsch, und er vermisste die Sonne und die Wildheit des Monsuns. Aber vor allem vermisste er seinen eigenen jugendlichen Optimismus. In Indien hatte er noch eine Zukunft gehabt, danach nicht mehr. Und manchmal, wenn er sich wieder einmal selbst bemitleidete, gab er alle Schuld daran einem jungen Mann, den er sehr gemocht hatte, einem Engländer mit Namen Sharpe. Es war Sharpe gewesen, der für Gudins erste große Niederlage verantwortlich gewesen war. Richard Sharpe war der perfekte Soldat gewesen, erinnerte sich Gudin. Oh, wie der Kaiser Sharpe geliebt hätte! So viel Glück …
    Nun war da wieder ein Sharpe, ein Offizier in Spanien, dessen Name die Franzosen verfolgte, und manchmal fragte sich Gudin, ob es sich dabei wohl um denselben Mann handelte. Allerdings war das eher unwahrscheinlich, denn bei den Briten wurden einfache Soldaten nur selten in den Offiziersstand erhoben. Außerdem war dieser Sharpe hier ein Rifleman, während Gudins Sharpe ein Rotrock gewesen war. Trotzdem hoffte Gudin bisweilen, dass es derselbe Mann war, denn er hatte den jungen Richard Sharpe gemocht. Er vermutete jedoch, dass sein Sharpe schon längst tot war. Nicht viele Europäer überlebten Indien. Wenn der Feind sie nicht erledigte, dann das Fieber.
    Gudin marschierte weiter, sinnierte über Indien und versuchte, Colonel Caillous Beleidigungen zu ignorieren. Das schwangere Mädchen hatte Schmerzen und weinte, und der Garnisonsarzt, ein verwöhnter Pariser, der es gehasst hatte, in den Pyrenäen stationiert zu sein, erklärte Gudin, das Mädchen sei dem Tode geweiht. »Sie kann nicht auf natürliche Art gebären«, versicherte er seinem Kommandeur, »daher wäre es besser, sie einfach zu erschießen. Ihr Heulen macht die Männer nur nervös.«
    »Das ist Ihre medizinische Meinung?«, fragte Gudin wütend. »Wir sollen sie erschießen?«
    »Ja, wir sollten sie von ihrem Leid erlösen.«
    »Und warum kann sie nicht auf natürliche Art gebären?«
    »Weil das Kind verkehrt liegt«, antwortete der Arzt, »nicht mit dem Kopf nach vorn. Wir springen kopfüber in die Welt, Colonel, nicht mit den Füßen zuerst.«
    »Dann schneiden Sie sie doch auf.«
    »Hier?« Der Arzt lachte. »Wenn ich sie aufschneide, wird sie sterben, und wenn ich sie nicht aufschneide, stirbt sie auch. Mon colonel, unter diesen Umständen ist die Pistole das beste medizinische Instrument.«
    »Sorgen Sie einfach dafür, dass sie bis Irati überlebt«, befahl Gudin müde. »Dort können Sie dann operieren.«
    »Wenn sie es denn bis dahin schafft«, murmelte der Arzt vor sich hin. Just in diesem Augenblick hallte ein Donnern vom Berg vor ihnen herüber. Oder jedenfalls klang es wie Donnern, nur waren da

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