Shayne - der Verführer (German Edition)
verletzen, konnte sein großer Bruder ihn als Punchingball benützen.
“Er sagte, wenn er nichts mehr von uns hört, verständigt er deine Großmutter und füttert den Kater.”
“Das ist sehr aufmerksam von ihm.”
“So ist Mike eben.”
Er verschwieg auch, dass sein Bruder ihn davor gewarnt hatte, Bliss zu verletzen. Shayne bog auf eine einspurige Lehmstraße ein, verdrängte alle negativen Gedanken und konzentrierte sich auf die vor ihnen liegende Nacht.
Die Sonne sank bereits, als Shayne an einer kleinen Anlegestelle hielt, an der ein flaches Boot vertäut lag.
Bliss hätte zwar ein stabiler wirkendes Fahrzeug bevorzugt, vertraute Shayne jedoch restlos und stieg ein. Er startete den Motor. Als sie ablegten, erinnerte Bliss sich an eine andere Bootsfahrt, die sie mit diesem Mann unternommen hatte. Jetzt wurde ihr bewusst, dass sie sich schon an dem ersten Abend in Shayne verliebt hatte.
“Wir haben Glück!” sagte er laut, um den Motor zu übertönen. “Durch den Regen ist das Wasser gestiegen. Manchmal muss man an schlammigen Stellen staken. Wir sollten ohne Probleme durchkommen.
“Du warst offenbar schon öfter hier.”
“Ein paar Mal”, erwiderte er ausweichend. “Mike kommt oft zum Jagen und Angeln hierher.”
Kein Lufthauch regte sich. Zikaden stimmten ihr Lied an. In der Abenddämmerung schwirrten Leuchtkäfer zwischen den Ästen der Zypressen, von denen Flechten hingen. Hinter einer Biegung erweiterte sich der Fluss zu einem See.
Am Ufer stand unter einer uralten Eiche eine Hütte auf Stelzen.
“Wir sind da.” Shayne stellte den Motor ab. “Es ist nicht das Whitfield Palace, aber wenigstens sind wir hier ungestört.”
Bliss war erleichtert, dass sie keine halb verfallene Hütte vor sich sah. Die Veranda war mit Jalousien versehen. Eine Außentreppe führte zur Garconnière, dem Raum unter dem Dach, wo ursprünglich die jungen Männer der hier lebenden Großfamilie geschlafen harten. Die Hütte aus Zypressenholz fügte sich harmonisch in die Umgebung ein.
“Sehr hübsch”, lobte sie. “Und perfekt für diese Gegend.”
Er war erleichtert, dass es ihr gefiel. Erst jetzt merkte er, wie viel ihm an ihrer Meinung lag. Er half ihr aus dem Boot und warnte sie, auf den Planken zu bleiben, weil sie sonst im Schlamm versinken könnte.
Dabei war er in Gefahr, selbst zu versinken und nicht mehr loszukommen, wenn auch in einer ganz anderen Hinsicht. Früher hatte er die flüchtigen Beziehungen zu Frauen genossen, die so wenig wie er an festen Bindungen interessiert waren. Bliss komplizierte sein Leben. Trotzdem hätte er sich nicht mehr von ihr lösen können.
Die Einrichtung war rustikal und beschränkte sich aufs Wesentliche – handgefertigte Fichtenholzmöbel, moosgrüne Vorhänge vor den mit Fliegengittern versehenen Fenstern. In einer Ecke des Hauptraums stand ein schwarzer Ofen, der als Kamin fungierte, wenn man die Türen öffnete.
“Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mike das gemacht hat”, meinte Shayne, als Bliss die Vorhänge lobte. “Das war bestimmt diese Frau, mit der Mikes Bruder zusammenlebt.”
“Daria Shea”, sagte Bliss.
“Du kennst sie?”
“Jeder kennt Daria. Sie ist stellvertretende Staatsanwältin und hat vor einigen Monaten für Schlagzeilen gesorgt. Sie wäre beinahe umgebracht worden, als sie gegen eine Gruppe Prominenter ermittelte, die ein geheimes Exekutionskommando aufgestellt hatten, um tatsächliche oder vermeintliche Verbrecher hinzurichten. Bei der Gelegenheit hat Roarke sie kennen gelernt. Sie ist sehr nett.”
“Das hat auch Mike schon gesagt.”
Wenn sie sich nicht täuschte, klang er alles andere als zufrieden. “Hast du Roarke jemals getroffen?”
“Ja.”
Als er nicht mehr dazu sagte, sprach sie endlich ein Problem an, das sie seit ihrer Rückkehr aus Paris beschäftigte. “Ist dir eigentlich klar, dass du so gut wie alles über mich weißt, ich aber gar nichts über dich?”
Shayne erstarrte. Er hatte schon lange darauf gewartet, dass sie dieses Thema anschnitt.
“Das stimmt nicht ganz. Ich weiß nicht alles über dich. Zum Beispiel kenne ich nicht den Namen des Jungen, der dich zum ersten Mal in deinem Leben geküsst hat.”
“Billy Roberts. Wir waren in der zweiten Klasse, und er hat mir auf dem Spielplatz der Schule aufgelauert und ließ mich nicht mehr vom Karussell herunter, wenn ich ihn nicht küsste.”
“Das zählt nicht, weil der Kuss erzwungen war.” Shayne blickte zufrieden in die knisternden Flammen im
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