Sheila Levine ist tot und lebt in New York (German Edition)
SHEILA
Ich steckte meine Hand in den Schlitz des Briefkasten und versuchte die Karte wieder herauszufischen.
Und dann waren Linda und ihre neueste Flamme verschwunden, und das seit Stunden. Der Gedanke daran machte mich äußerst nervös.
Linda und ich bekamen in einem kleinen Restaurant neben dem Hotel ein Prix-fixe-Dinner serviert. Wir waren begeistert, sogar die Luft war anders als in Paris. Ich fühlte mich total weltläufig und konnte gleichzeitig nicht fassen, dass ich tatsächlich in Rom war. Und gleich um die Ecke wohnte. Linda erwog eine staatliche Stütze, und ich dachte an Frank Holland und seinen Übersee-Ableger. Beide beschlossen wir auf unserem Trip, dass wir uns sofort nach unserer Rückkehr nach einer neuen Arbeit umsehen würden. Wir verkauften uns unter Wert. Wir waren überqualifiziert. Wir hatten Europa bereist.
»Ich will so schnell wie möglich wieder zurück.«
»Wie wär’s mit nächstem Sommer?«
»Nein, Sheila, nicht nur, um Urlaub zu machen. Ich will hier leben.«
»Ich auch, ich hab das gerade Norman geschrieben. Wenn du deine Spaghetti nicht isst, gib sie mir, ich krieg sie noch runter.«
Zwei Jungs, die wir nicht einmal bemerkt hatten, kamen an unsern Tisch und fragten, ob sie sich zu uns setzen könnten. Ist es nicht auffällig, wenn zwei junge Männer sich zu zwei jungen Frauen gesellen, wird sich der Besseraussehende von den beiden automatisch neben die hübschere Frau setzen.
Es waren Amerikaner – offensichtlich Mittlerer Westen – Bottondown-Hemden, Khakihosen und alles, was dazugehört. Lindas Typ hieß Rick Nochwas und meiner Joe, einfach nur Joe. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, waren Linda und Rick schon zu unbekannten Zielen aufgebrochen. Joe und ich, auf dem Rücksitz seiner Honda, fuhren zu einer Bar, die von amerikanischen College-Kids frequentiert wurde, und mir fiel zum ersten Mal auf, dass ich älter war als mein Date. Ich fand das beunruhigend, denn ich hatte mich immer für eine der Jüngsten gehalten. Und da stand also Joe, der all diesen Sweatshirts tragenden Kids zuwinkte – Dartmouth, Rochester, Ithaca etc. Alle sprachen sie über das Herbstsemester. Ich kam mir mit meinen zweiundzwanzig Jahren richtig alt und hässlich vor.
»Sheila, wo studierst du?«
(Ich schluckte und hauchte) »NYU.« Ich war nervös. Angenommen, einer von der Truppe hatte mich auf der Abschlussfeier gesehen!
Linda und Rick tauchten nicht wieder auf. Joe schien das nicht weiter zu stören. Aber ich war entsetzt, als wir ins Hotel zurückkamen und Linda nicht da war. Joe wartete mit mir, da er und Rick sich noch keine Schlafstelle gesucht hatten. (Wie kann man nur?) Wir saßen auf den harten, unbequemen Stühlen der kleinen Hotellobby und warteten und warteten und warteten.
Ich gebe ja zu, dass ich schnell in Panik gerate und dass ich mich oft grundlos aufrege. Aber wer würde das nicht, wenn die beste Freundin sich in einem völlig fremden Landbei einem völlig Unbekannten aufs Motorrad setzt, losbraust und um halb vier Uhr morgens immer noch nicht zurück ist. Ich jedenfalls war in hellster Aufregung.
»Joe, ich denke, wir sollten etwas unternehmen, anrufen oder so was.«
»Was sollen wir denn machen? Wen können wir denn anrufen?«, fragte er eher unbeteiligt.
»Die amerikanische Botschaft zum Beispiel.«
»Morgens um halb vier?«
Ich stand auf, um etwas zu unternehmen – was, wusste ich auch nicht –, und wer kommt herein, Rick, aber keine Linda.
»Joe, wo bist du abgeblieben? Wir haben bei Mark’s auf dich gewartet.«
»Wo ist Linda?«, wollte ich wissen.
»Ich wusste nicht, dass wir uns bei Mark’s treffen wollten. Hast du nie gesagt.«
»Doch, habe ich dir noch zugebrüllt, als wir vom Restaurant wegfuhren.«
»Wo ist Linda?«, wiederholte ich.
»Hab ich nicht gehört.«
»Wo ist Linda, wo zum Teufel ist Linda«, insistierte ich.
»Na schön, ich hab überall nach dir gesucht. Ich bin hundemüde, und morgen früh geht’s nach Madrid.«
»WO IST LINDA?«, brüllte ich.
»Wer?«
»Linda, mit der du unterwegs warst.«
»Ich hab sie gleich nach dem Kino hier abgesetzt.«
»Lass den Quatsch. Sie ist nicht hier. Meine Nerven, ichhalt’s nicht aus.« Was wussten diese nicht-jüdischen Jungs schon von Nerven? Ich wette, beide hatten coole, flachbrüstige blonde Mütter, denen es nicht einmal etwas ausmachte, wenn sie sich ihre Windpockenpusteln aufkratzten.
»Ich hab sie hier abgesetzt, und meiner Meinung nach ist sie nach oben gegangen. Mach
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