Sheila Levine ist tot und lebt in New York (German Edition)
Bussen nachschauten, mit denen wir in das Ferienlager fuhren, Kinder, die den ganzen Tag lang zwischen Grabsteinen herumturnten, auf Grabsteinen hockten und sich gegen Grabsteine lehnten. Während wir in unserem Ferienlager Schwimmen und Tennisspielen lernten (das Handgelenk nicht knicken, Sheila, wie oft soll ich dir noch sagen, dass es gerade sein muss), spielten diese Kinder in dem Hof mit den Grabsteinen vor ihrem Haus. Sie taten mir leid. Sie wurden nie ins Ferienlager geschickt. Und wahrscheinlich auch nicht auf eine höhere Schule. Aber, Sheila, sie werden heiraten, diese Glückspilze.
Franklin Square …
»Hallo, Mom.«
»Hi, Sheila, was gibt’s Neues?«
»Nicht viel.«
»Gehst du am Samstagabend aus?« (Sie versuchte es immer wieder.)
»Weiß ich noch nicht.« (Ich wollte es ihr immer noch recht machen.)
»Wann kommst du zum Wochenende nach Hause?«
»Weiß ich noch nicht, Mom. Bei der nächsten Gelegenheit, die sich bietet [sie muss gedacht haben, ich sei Baby Jane Holzer]. Sag mal, Mom, kann ich mir am Samstag das Auto ausleihen?«
»Wohin willst du?« (Mom, verdammt noch mal, ich bin dreißig Jahre alt, kann ich mir nicht einmal das Auto ausleihen, ohne dir erklären zu müssen, wohin ich fahre?)
»Ich fahr nach Connecticut zu den Bingo Grabmalen, um mir meinen Grabstein auszusuchen.« (Das hab ich nicht gesagt.)
Vielmehr sagte ich: »Ich fahr mit diesem jungen Mann,den ich vor ein paar Wochen kennengelernt hab, nach Connecticut. Angeblich findet er Connecticut richtig toll, und wir wollten deshalb für einen Tag hinfahren.« (Ich wusste inzwischen ganz genau, was ich sagen musste.)
»Ist doch nett. Warum kommt ihrnicht beide zuerst hierher und holt das Auto ab?« (Sie wollte einen Blick auf meinen fiktiven Beau werfen.)
»Er würde ja gerne mitkommen, Mom, aber er kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil es ihn eigentlich gar nicht gibt. Ich hab ihn erfunden.« (Das sagte ich auch nicht.)
Ich sagte vielmehr: »Weil er seine Mutter am Samstagmorgen besuchen muss.« (Ich wusste, meine Mutter konnte noch nicht mit seiner konkurrieren.)
»Na schön, wann kommst du also?«
»Ich komm am Samstagmorgen raus und hol den Wagen.«
»Warum nicht am Freitagabend? Wir können dann zusammen essen.« (Warum fragst du mich, wenn du alles bereits entschieden hast?)
»In Ordnung.«
Ich bin allein nach Kent, Connecticut, gefahren – zweieinhalb Stunden durch das schöne Amerika. Es war der erster Ausflug, den ich mit dem Auto zu den Orten meiner Kindheit machte. Damals bin ich Jahr für Jahr mit dem Zug nach Kent gefahren, zusammen mit Kaugummi kauenden, Comic lesenden Schlafgenossinnen in kurzen Matrosenhosen und hellblauen Poloshirts. In Kent stiegen wir ausund wurden dann in Bussen und Lastwagen zu unserem Ziel gebracht.
An diesem schönen Samstagmorgen ging ich direkt zu Bingo’s und stellte überrascht fest, dass die Kinder verschwunden waren. Ich hatte vollkommen vergessen, dass die Kinder, die dort gespielt hatten, ja in meinem Alter waren.
Ich klopfte an die Tür, die sofort von einer Frau im Hauskleid geöffnet wurde – Mrs. Bingo? In meinem ganzen Leben hatte ich nie wirklich eine Frau gesehen, die ein Hauskleid trug. Mrs. Bingo hatte gräuliches, langes, dünnes Haar, trug Hauskleider und war nicht der Typ von Frau, die im Alter an Gewicht zunahm.
(Ich, sehr freundlich und mit einem Lächeln) »Hallo, ich würde mir gerne die Grabsteine anschauen.«
(Sie, sehr neugierig) »Warten Sie, ich hol meinen Mann.
Ich spähte hinein. Schäbiges, abgenutztes Mobiliar, von darüberkrabbelnden Kindern ramponiert und auseinandergenommen. Keine zwei Stücke, die zusammenpassten. Das Ganze sah wie eine alte, billige Motel-Lobby aus. Ein alter, verstaubter Fernsehapparat mit einem aktuellen Fernsehprogramm drauf. Ein Mann tauchte auf. Wie sieht der Mann einer Frau aus, die Hauskleider trägt? Er war groß und dünn und trug Socken mit einem Streifen an der Seite und Gucci-Schuhe – das sollte ein Witz sein.
(Ich, sehr freundlich und mit einem Lächeln) »Hallo, ich würde mir gerne die Grabsteine anschauen.«
Er musterte mich – und der Blick besagte: »Was zum Teufel willst du hier ?«
»Ich war früher immer in dem Ferienlager hier in der Nähe, und bei der Gelegenheit hab ich Ihr Geschäft gesehen. Und da ich jetzt einen Grabstein brauche, dachte ich, ich komm mal vorbei.«
»Hier sind unsere Steine. Suchen Sie sich einen aus, und dann besprechen wir das, ich kümmere mich um die
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