Sheriff Tod
Einwegfeuerzeug griff, hatte er Mühe, es in seinen schweißnassen Händen zu halten.
Mit der Daumenkuppe drehte er das Zündrädchen. Zuerst sah er die Funken, dann die Flamme, die eine kleine Insel in die Finsternis hineinbrannte.
Tina würde ihn sehen können, nur das war wichtig. Er hielt den Arm hoch, über seinen Kopf hinweg, und er schaute weder nach rechts noch nach links, weil er noch nicht wissen wollte, was sich dort alles befand.
Wichtig war einzig und allein Tina.
Die hatte ihn gesehen.
Er hörte sie schluchzen, dann drang wieder ihre Stimme abgehackt zu ihm. »Ich komme, ich komme.«
Er sah sie noch nicht, weil das Licht nur einen begrenzten Raum ausleuchtete, aber er drehte sich, um ihr entgegenleuchten zu können, wenn sie sich auf ihn zubewegte.
Etwas störte ihn. Aus dem linken Augenwinkel hatte er es gesehen. Es sah aus wie ein starrer Schatten, der auf dem Boden klebte, und schreckliche Vorstellungen durchwanderten sein Gehirn. Deshalb schaute er auch nicht näher hin und konzentrierte sich auf Tina, deren Gestalt in sein Blickfeld geriet und die für ihn aussah wie der schönste Engel auf einem Gemälde, obwohl sie auf allen vieren über den schmutzigen Boden hinwegkroch.
Sie kam immer näher, und er sah sie deutlicher. Besonders ihr Gesicht, das seinen Liebreiz längst verloren hatte, was Marcus aber nicht einsehen wollte. Der Schrecken sollte ihn erfassen, nicht seine Tina, deren Mund offenstand. Das Haar war verklebt, die Kleidung verschmutzt, aber nicht zerrissen, was ihn sogar freute, da zerrissene Kleidung auf eine Vergewaltigung hingedeutet hätte.
Tina lebte, das zählte. Und er lebte auch, das stand ebenfalls fest. Er gehörte zu denjenigen, die nicht aufgaben, und er wollte, daß auch seine Tina nicht aufgab. Sie beide mußten zusammenfinden und sich gegenseitig Kraft geben. Sie steckten in dieser verfluchten Höhle oder wo auch immer, aber sie waren zu zweit, und der junge Mann hörte sich selbst tief durchatmen.
Er kniete ebenfalls. Tina war so nahe an ihn herangekommen, daß sie sich berühren konnten. Er sah das Lächeln auf ihrem Gesicht. Oder war es nur der Versuch, lächeln zu können?
Wie auch immer. Ihre Hände fanden zueinander, gaben sich Halt und das Gefühl der Geborgenheit.
Irgendwann lagen sie sich in den Armen. Noch immer auf dem harten Boden kniend, und keiner von ihnen spürte den starken Druck dieser steinigen Unterlage.
Sie spürten ihre Körper, und sie spürten die gegenseitige Wärme, die sie sich gaben. Die Wärme, die sich umwandelte in ein Vertrauen.
Die Flamme des Feuerzeugs war längst verloschen. Marcus hielt es noch in der geschlossenen Faust. Er wollte es auf keinen Fall verlieren, denn ein Lichtmachen gab auch Hoffnung.
Sie sprachen durcheinander. Keiner verstand die Worte des anderen, aber sie waren zusammen, und sie genossen die gegenseitige Umarmung, auch wenn sie nur stammeln konnten.
»Er hat dir nichts angetan, nicht wahr? Er hat dir doch nichts getan, Tina…«
»Nein…«
»Er hat dich nicht berührt?«
»Nein.«
»Er hat dich nur geschlagen.«
»Ja.«
»Wir werden es ihm nicht gönnen. Er wird uns nichts mehr tun können. Wir sind jetzt stark, Tina, stark.« Marcus Richter wollte ihr Mut machen, aber auch sich selbst. Er konnte nur mit Tinas Hilfe die schreckliche Zeit der Gefangenschaft überstehen, und ihr ging es ebenso. Noch schien alles ins Verderben zu führen, doch irgendwann aber würde es wieder aufwärts gehen. Sie mußten nur das Grauen hinter sich haben, und so hockten sie im Dunkeln zusammen, gaben sich gegenseitig Schutz und versuchten so, das Grauen zu verdrängen.
Irgendwann fanden beide den Kontakt zur Realität wieder. Es war Tina, die das lange Schweigen unterbrach. »Wo… wo… sind wir hier? Hast du eine Ahnung, Marcus?«
»Nein, ich weiß nichts.«
»Es ist dunkel wie in einem Grab.«
Er schluckte, als er das Wort hörte. Und es erinnerte ihn auch wieder an den schrecklichen Geruch. »Kein Grab«, sagte er wider besseres Wissen. »Eher eine Höhle, ein Versteck unter der Erde. Etwas sehr Schreckliches, denke ich.«
Sie schwieg. Dann fragte sie: »Hast du Angst?«
»Und wie.«
»Wovor?«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Vor ihm, nicht?«
»Auch. Er wird sicherlich zurückkommen, das glaube ich fest. Er wird kommen und…«
»Davon hat er nicht gesprochen, nur von einem Grab.«
Tina gab ihrer Stimme einen festen Klang, oder sie versuchte es zumindest. »Von einem großen Grab, Marcus. Sag
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