Sheriff Tod
nicht, daß ich aufhören soll, aber ich habe das Gefühl, tatsächlich in einem Grab zu sein. Es ist hier etwas Bestimmtes vorhanden…«
»Der Geruch«, sagte Marcus.
»Stimmt!« flüsterte sie. »Es ist der Geruch gewesen.« Sie schüttelte sich, was auch er merkte. Dann stöhnte sie auf. »Ein verfluchtes Grab…«
»Aber wir sind nicht tot, Tina.«
Ein schwerer Atemzug, dann: »Nein, wir sind nicht tot, nicht wir. Andere, denke ich.«
»Wieso?«
»Hast du es nicht gerochen…?«
Er preßte die Lippen zusammen und schwieg. Klar, er hatte es gerochen. So etwas mußte man einfach riechen, das war zu… zu…
»Warum sagst du nichts?«
»Es stimmt. Ich habe es gerochen. Nach Fäulnis und nach… nun ja, nach Fäulnis eben.« Er wollte den anderen Begriff nicht verwenden. Das wäre zu schlimm gewesen.
»Mach Licht, Marcus!«
»Bitte?«
»Laß dein Feuerzeug leuchten.«
»Und dann?«
Tina rutschte von ihrem Freund weg. »Ich will es endlich wissen, Marcus. Ich muß es wissen. Die Dunkelheit macht mich verrückt. Ich komme da nicht dagegen an. Ich will es wissen.«
»Okay. Und was ist, wenn du…?«
Im Dunkeln hatte sie seinen Mund ertastet und legte ihm blitzschnell einen Finger auf die Lippen.
»Nichts mehr denken, nichts mehr sagen. Nur noch handeln.«
»Wie du willst.« Er hatte seine Faust bereits geöffnet. Die Außenhaut des Feuerzeugs war in seiner verschwitzten Hand glatt geworden. Es war gar nicht einfach, es zu halten, aber er mußte sich jetzt zusammenreißen. Nur nichts falsch machen und zuviel Angst zeigen. Sie hatten es bisher überstanden, und sie würden sich auch nicht aufgeben.
Marcus versuchte es. Er schnickte einige Male. Funken zuckten, dann war die Flamme da. In die Dunkelheit hinein riß sie die kleine Insel und vertrieb die Düsternis.
Er sah Tinas Gesicht. Das Lächeln auf den Lippen. Trotz allem den Glanz in den Augen. Es war so schön.
Plötzlich erlebte er das Gefühl des Glücks. Für einen Moment war der eigentliche Schrecken vergessen, aber das Gefühl kehrte zurück, als er in Tinas Augen sah. Dort malte sich nicht nur die Flamme ab, er sah auch noch einen anderen Ausdruck. In diesen Augen lag eine schreckliche Angst. Sie war dort wie eingemeißelt. Eine nahezu brutale Furcht, die Tina quälte.
»Was hast du?« Tina wollte antworten, hatte aber ihre Schwierigkeiten.
»Da… da…«, sagte sie, »da ist was…«
»Wo denn?«
»Du mußt dich drehen – o Gott.«
Noch immer kniend drehte er sich auf der Stelle um. Er schaute dorthin, wo Tina das Schreckliche entdeckt hatte, und er sah es auch. Es war kaum zu fassen. Er verglich es mit einem makaberen Theaterspiel, nur gehörte der bleiche Arm mit der leicht verkrümmten Hand bestimmt keinem Schauspieler, denn was sich den beiden jungen Leuten da in einer Grausamkeit präsentierte, war ein Toter.
Eine männliche Leiche, halb angezogen, und der junge Deutsche wußte selbst nicht, was ihn dazu trieb, den Arm vorsichtig zu bewegen, um das Gesicht zu sehen.
Er sah es.
Und er sah noch mehr…
***
Wir hatten die kleine Hoteloase verlassen und waren wieder unterwegs.
Und darin unterschieden wir uns nicht von den anderen Fahrern und Fahrerinnen, die in Richtung Westen fuhren, als gäbe es dort das große Glück zu fassen.
In Europa war Ferienzeit, und das merkten wir auch hier in den Staaten.
Man konnte den Leuten in ihren Fahrzeugen ansehen, wer zu den Touristen gehörte und wer nicht, denn viele von ihnen filmten die Gegend, als wäre sie etwas Einmaliges, was sie unbedingt festhalten mußten.
»Die Angst scheint nicht sehr groß zu sein«, bemerkte ich.
Doreen hob die Schultern. »Wir haben etwas geschafft, was beinahe schon einmalig ist.«
»Und was, bitte?«
»Die Presse hat nichts von den Taten mitbekommen. Wir haben alles geheimhalten können.«
»Das ist eine Leistung.«
»Richtig, John. Besonders hier bei uns, wo jeder das Gras wachsen hört und sich wichtig machen will.«
Wir fuhren auf der breiten Interstate 70, würden sie aber bei Sahna verlassen, denn ungefähr dort begann das Gebiet, in dem der geheimnisvolle Killer erschienen war, wobei wir das eigentliche Zentrum mit dem Ort Lucas umschreiben konnten. Nicht etwa, daß er dort wohnte, aber die Morde waren nun mal in der Umgebung dieser Stadt passiert. Zumindest die FBI-Kollegin rechnete dort auch mit einer Aufklärung.
»Zwölf Menschen, die verschwunden sind«, flüsterte sie. »Es ist ein Wahnsinn. Es ist verrückt. Ich komme damit noch
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