Sheriff Tod
gut.«
Im Dunkeln tasteten sie sich schrittweise voran. Sie hielten sich gegenseitig fest, hatten die freien Arme ausgestreckt, um ein Hindernis so schnell wie möglich erfassen zu können, aber sie fanden zunächst keinen Widerstand.
Marcus hatte so etwas wie Führung übernommen. Die Lage der Toten hatte er noch ungefähr in der Erinnerung, und er wollte von ihnen weggehen und nicht über ein steifes Bein stolpern oder gegen einen starren Arm stoßen.
Es wäre auch nichts für Tina gewesen. Erst als er glaubte, weit genug von diesem sternförmigen Kreis aus Leichen entfernt zu sein, da wagte er es, das Feuerzeug einzuschalten. Die Flamme tanzte in die Dunkelheit hinein und schuf eine helle Lichtinsel.
Da war eine Wand – ein Hindernis!
Beide gingen schneller, und sehr bald schon berührten ihre Handflächen die Wand.
Stein. Schmutziger, feuchter und irgendwie auch schmieriger Stein, der ebenfalls stank, aber nicht den üblen Geruch abstrahlte wie die Toten.
»Wo eine Wand ist, muß auch eine Tür sein«, flüsterte Marcus, wobei seine Stimme wenig überzeugend klang, denn er hatte schon einen Schritt weitergedacht und ging davon aus, daß die Tür, wenn sie denn eine fanden, geschlossen war.
Aber das Entdecken der feuchten Wand ließ die ersten großen Probleme etwas in den Hintergrund treten.
An der Wand entlang setzten sie ihren Weg fort. Sie berührten sie auch, weil sie beide das Gefühl hatten, daß von ihr so etwas eine Sicherheit ausging.
Die rauhen, kantigen Stellen waren von diesem jahrealten Schmier überdeckt worden. Es störte sie nicht, daß ihre Hände schmutzig wurden, sie wollten nur weiter, und es kroch eine gewisse Furcht über ihren Rücken.
Auf Zehenspitzen bewegten sie sich.
Der Boden war glatt durch den ebenfalls feuchten Dreck geworden. Sie gingen wie zwei Puppen, die sich selbst kaum gehorchten, sondern nach anderen Gesetzen lebten. Zwei Lebende bewegten sich in einer Welt der Toten, und das konnten sie nicht verkraften.
Eines stellten sie fest.
Sie befanden sich in einer viereckigen Leichenhalle, in der es keine Tür zu geben schien. Tina fing wieder an zu weinen. Mit den Tränen verließ auch die Kraft ihren Körper, so daß Marcus sie stützen mußte.
Er versuchte zumindest nachzudenken und dabei einen klaren Gedanken zu fassen. Es fiel ihm schwer, so irrsinnig schwer. Immer wieder wollten seine Gedanken abstreifen, bis er sich auf den Begriff Grab konzentrierte und darauf, daß Gräber ja in der Erde lagen und nicht außerhalb. Also mußte diese furchtbare Leichenhalle ebenfalls in der Erde liegen und würde nur von einer Richtung aus zugänglich sein.
Bisher hatten weder Tina noch er die Decke sehen können. Es mußte sie geben, und die Logik sagte ihm auch, daß dort ein Zugang existierte.
Er schaltete das Feuerzeug noch einmal ein und streckte den rechten Arm so weit wie möglich in die Höhe. Vielleicht reichte der Widerschein der Flamme aus, um zumindest die Decke zu berühren und dort einen Zugang zu entdecken.
Eine Falltür oder Ähnliches…
Er sah nur die Flamme. Über ihr tanzte der Widerschein, doch er streckte sich nicht der Decke entgegen. Sie blieb im Dunkeln, und sie war ein schwammiges Etwas.
Sein Arm sank nach unten. Die Flamme erlosch, und mit ihr auch der letzte Funke Hoffnung.
Sie waren Gefangene, und Marcus fragte sich, wann auch sie in die Reihe der Toten eingebettet würden…
***
Wir hatten den Ort Lucas erreicht, und Doreen hatte noch immer an meinen Worten zu knacken.
Sie konnte sich nicht beruhigen, sie schüttelte den Kopf, wiederholte, was ich gesagt hatte und ballte vor Zorn die Hände, während ich neben ihr saß und an einem kalten Longdrink schlürfte, der uns im Garten des kleinen Hotels serviert worden war, wo Doreen zwei Einzelzimmer bestellt hatte. Das Hotel in Topeka hatte uns nur als Zwischenstation gedient, hier in Lucas mußten wir unter Umständen länger bleiben. Viel hatte ich von der kleinen Stadt nicht gesehen, aber so stellte man sich eine Town eben im Mittleren Westen vor. Ein wenig verschlafen, eine breite Main Street, die von Geschäften flankiert wurde, und auch viel Raum zum Parken, was in den Großstädten Mangelware war.
Die Häuser waren teilweise aus Holz errichtet, und in den großzügigen Vorgärten wurden die Rasenflächen gesprengt.
Auf dem runden Tisch vor uns standen nicht nur die Gläser, es lag auch ein Handy dort, eines dieser flachen, tragbaren Telefongeräte, ohne das Doreen nicht auskam. Wir
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