Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
eine gute Stunde verloren, ich muss sofort zum Hafen. Die Melbourne läuft Punkt zehn Uhr aus und segelt über Indien nach Australien. Ich bin absolut sicher, dass Frances auf dieses Schiff will, um nach Indien zu fliehen. Das müssen wir verhindern! Suchen Sie einen Polizisten, der sich um Mrs. Hudson kümmert und ihre Aussage aufnimmt, und lassen Sie ihn Kollegen zum Hafen schicken. Aber schnellstens. Am besten Inspektor Lestrade, wenn er erreichbar ist.“
Noch ehe ich etwas erwidern konnte, war Holmes losgelaufen.
Ich rieb mir die eingeschlafenen Hände. Ein Kribbeln zeigte mir, dass sich der Blutfluss normalisierte. Mrs. Hudson bekam ich schnell befreit. Kaum war sie den Knebel los, wetterte sie: „Was für ein unangenehmer Mensch! Er hat mich mit einer Waffe bedroht und gezwungen, ihn hierher in diese Bruchbude zu begleiten. Ich habe Todesängste ausgestanden. Warum haben Sie und Mister Holmes so lange gebraucht, uns zu finden? Und wohin ist er so schnell verschwunden?“
„Nun holen Sie erst einmal Luft“, wollte ich die gute Dame beruhigen. „Wir spürten Sie zügig auf und Holmes ist dem Verbrecher nach, ihn zu erwischen, damit er Sie nicht noch einmal entführen kann. Wir waren den ganzen Tag an dem Fall dran und konnten weder zu Mittag essen, noch einen Nachmittagstee zu uns nehmen. Und die Zeit des Abendessens ist auch bereits vorüber. Mein Magen macht Geräusche wie ein Dinosaurier. Damit will ich Sie nur warnen, damit Sie nicht erschrecken.“
„Oh, Sie armer ... Und Mister Holmes auch. Ich danke Ihnen sehr für meine Rettung, nur hat mich die Nacht auf diesem alten Bett unbeherrscht gemacht. Ich durfte nur einmal, heute Vormittag, auf die Toilette. Also wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen würden?“
Ich wartete ungeduldig und brachte unsere Wirtin nach draußen. Der Abend hatte sich bereits verabschiedet und die Nacht eingeläutet. In der Dunkelheit konnte ich keine Passanten mehr bemerken, aber ein einsamer Polizist auf Streife fiel mir ins Auge. Ich rief ihn zu mir und setzte ihn mit hastigen Worten ins Bild. Er pfiff mit der Pfeife Verstärkung herbei und versprach, sich um Mrs. Hudson zu kümmern und nach Inspektor Lestrade schicken zu lassen.
Ich dankte und eilte zur nächsten Kreuzung, wo ich eine vorbeifahrende Mietkutsche erwischte. Glück gehabt! Ich wies den Kutscher an, eilends zum Hafen zu fahren, es ging bereits auf Viertel vor zehn zu und das Schiff würde in zwanzig Minuten auslaufen. Ich wollte zu Holmes und ihm helfen. Meinen Revolver hatte ich wieder, Frances hatte ihn unter das Bett geworfen, so sicher war er sich, uns entkommen zu können.
Der Kutscher wusste, wo die Melbourne lag und brachte mich bis zum Pier. Trotz des Dämmerlichts der Gaslaternen, die die Piers beleuchteten, fand ich Holmes sofort. Er diskutierte heftig mit zwei Damen und hatte eine von ihnen, offensichtlich die Mutter, am Arm gepackt. Welche Respektlosigkeit war nun wieder in Holmes gefahren?
Die Damen wirkten wohlhabend, teure Kleider schauten unter den Mantelsäumen hervor und große verzierte Hüte schmückten die Köpfe einer älteren und einer jüngeren Frau. Beide waren stark geschminkt und rotes lockiges Haar fiel weit über die Stirn. Es verdeckte einiges von den Gesichtern. Die Familienähnlichkeit war allerdings nicht zu übersehen.
Ich eilte hinzu und rief: „Holmes, was tun Sie da?“
„Endlich, Watson! Schnell, ziehen Sie den Revolver und halten Sie Frances in Schach, bevor er flieht! Schnell, Watson!“
„Frances? Den Entführer unserer Wirtin? Aber ich sehe ihn nicht!“
„Watson! Benutzen Sie Ihre Augen! Hier, die angeblich ältere Dame ist George Henry Frances, in Verkleidung. Hände hoch, George, mein Partner zielt auf sie! Es ist aus!“
Ich zielte in der Tat, etwas unschlüssig noch, auf die Dame. Jetzt schaute ich sie genauer an. Ja, das Gesicht unter der Schminkschicht war kantig und männlich. Tatsächlich, es handelte sich um Frances! Holmes besaß einen unglaublich scharfen Blick, musste ich wieder einmal neidvoll zugeben. Mir wäre Frances in dieser Verkleidung nie aufgefallen und unerkannt entkommen. Er musste Kleider, Perücke und Schminkutensilien bereits im Haus der Victoria Park Road oder in der Nähe versteckt gehabt haben.
Endlich erspähte Holmes einen Hafenpolizisten und winkte ihn herbei. Einige verwunderte Blicke trafen mich bereits, ob meines Revolvers in der Hand, den ich auf eine angebliche Dame gerichtet hielt. Wahrscheinlich
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