Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
überlegte man bereits, wie man mich überwältigen und die Damen retten konnte. Bevor der Beamte Holmes erreichte, fuhr eine Droschke heran und Lestrade sprang heraus. Er erspähte Holmes und lief die wenigen Meter zu ihm.
„Das ist der Entführer unserer Wirtin, Mrs. Hudson, Lestrade!“, rief ihm Holmes zu.
„Oh“, entfuhr es Lestrade, beim Anblick des Kleides, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er nickte mir zu.
„Danke, Mister Watson, ich übernehme jetzt.“
Er legte Frances Handschellen an und fragte Holmes: „Und wer ist dieser Herr?"
„Das wüsste ich auch gern“, meldete ich mich zu Wort.
„Dieser Herr ist eine echte Frau. Ob Dame, wage ich nicht zu beurteilen. Es war ein kluger Schachzug von Frances, nicht nur sich zu tarnen und als Dame verkleidet auf das Schiff gelangen zu wollen, sondern sozusagen um die Tarnung noch sicherer zu machen, sich eine weibliche Begleitung zu suchen und als Mutter und Tochter hier anzukommen. Er muss in seinen perfiden Plan einbezogen haben, dass wir uns bereits befreit haben und die Polizei zum Hafen beordert oder selber an denselben erscheinen könnten, wenn er hier eintrifft, und so dachte er sich, erscheine ich nicht als ich selbst hier vor Ort. Wirklich äußerst genial gedacht.
Was nun die Begleitung anbetrifft, so handelt es sich um ein bezahltes Freudenmädchen, nicht wahr?“
Er schaute die angebliche Tochter an, und sie nickte wortlos. Frances knurrte etwas und schäumte vor Wut.
„Ich sollte in einer leeren Wohnung in der Victoria Park Road mit einer großen Tasche warten, bis er mich holt“, sagte sie.
„Sei still, du ...“, zischte Frances.
Lestrade übergab ihn dem zweiten Beamten und ließ ihn abführen.
„Wie auch immer, Holmes, wir werden es im Verhör herausfinden. Mrs. Hudson wurde ins Hospital gebracht, um zu untersuchen, ob alles mit ihr in Ordnung ist. Die weibliche Begleitung“, Lestrade sah eindringlich zu der Prostituierten, „hat sich in diesem Falle nichts zu Schulden kommen lassen und kann gehen. Für Ihre Aussagen, Mister Holmes und Mister Watson, möchte ich Sie bitten, morgen zur Polizeistation zu kommen. Für heute wünsche ich einen guten Abend.“
Den wünschten wir Lestrade auch. Holmes überlegte: „Watson, ich denke, unsere Wirtin wird eine Nacht zur Sicherheit im Hospital verbringen müssen. Der Abend ist schon spät und ich habe einen Bärenhunger! Sie nicht auch?“
„Oh, Holmes, ich weiß gar nicht, wie ich mein Hungergefühl beschreiben soll. Lassen Sie uns sofort etwas Essen gehen, in Ordnung?“
„Aber ja doch, Watson. Ich habe unterwegs aus dem Kutschenfenster geschaut und einen kleinen Inn gesehen, unweit von hier. Er sah vielversprechend aus. Kommen Sie!“
Mit einem Ale, einen Ribeyesteak und gebratenen Speckkartoffeln im nunmehr beruhigten Magen lehnte ich mich wohlig seufzend zurück. Jetzt kamen auch die Neugierde und der Wunsch nach Konversation zurück, nachdem wir wortlos gegessen hatten.
„Sagen Sie, wie konnten Sie denn nur den verkleideten Frances erkennen? Für mich wirkte er in seiner Verkleidung völlig unauffällig und durch die Begleitung der äh anderen Dame als Tochter schaute das Duo doch absolut unverdächtig aus.“
„Watson, dem war aber nicht so. Glauben Sie mir als Verkleidungsspezialisten, so möchte ich es einmal ausdrücken. Es genügt eben nicht, sich eine Perücke aufzusetzen und Kleider anzuziehen. Man muss auch innerlich in diese andere Person hineinschlüpfen, die man darstellen möchte. Man muss völlig zu der anderen Person werden. Dazu gehören zum Beispiel der Gang, die Haltung oder wie man im Sitzen die Beine übereinander schlägt. Sind Ihnen da schon mal Unterschiede bei den Geschlechtern aufgefallen?“
Hm, ja, wenn Sie es so sagen ... Ja.“
„Sehen Sie! Beim Gang ist es ebenso. Ein Mann geht doch ganz anders als eine Frau! Er macht größere Schritte und hält die Beine breiter, während eine Frau die Beine immer geschlossen hält, auch beim Sitzen, und kleinere, trippelnde oder federnde Schritte macht. Da fällt mir ein, das wäre ein gutes Thema für eine Abhandlung von mir. Nun gut, zurück zum Thema.
Durch den Gang sprang mir Frances in seiner Verkleidung geradezu ins Auge. Wenn er als Mann verkleidet erschienen wäre, hätte ich größere Mühe gehabt, ihn zu entdecken. Aber so ist es mit den Verbrechern. Auf der einen Seite sind sie, was die Ideen betrifft, genial, auf der anderen Seite begehen sie so viele triviale Fehler, Watson, so
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