Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
Dabei traf mich die Ruderbank am Kopf. Für einige Augenblicke verlor ich das Bewusstsein. Gott sei Dank war unter dem Bootskörper so viel Luft, dass ich nicht auf der Stelle ertrank. Durch die geborstenen Planken des kieloben treibenden Bootes kam sogar frische Luft hinzu. Als ich die Augen wieder aufschlug, erblickte ich unter mir einen riesigen blaugrauen Körper, der aus der Tiefe des Meeres kommend direkt auf mich zuschoss. Es war ein Hai! Ein Menschenhai! Instinktiv zog ich Arme und Beine unter den Bootskörper und drückte mich eng an die Planken. Der zweite Aufprall war noch heftiger als der erste. Die Nase des Hais traf mich genau in den Bauch. Mir blieb die Luft weg, ich verschluckte mich an dem Meerwasser, das mir durch den aufgerissenen Mund in den Hals strömte. Keinesfalls durfte ich den Hai aus den Augen verlieren, sonst war ich verloren. Er begann das Boot zu umkreisen, aber immer links herum. Wo sein rechtes Auge hätte sein müssen, klaffte nur ein schwarzes Loch. Er konnte mich nur mit dem linken Auge sehen. Deshalb also schwamm er immer linksherum im Kreis! Ich dachte sofort an die einäugige Frau im schwarzen Gewand.
Ihr fehlte ebenfalls das rechte Auge.
Die nächste Attacke richtete sich nicht gegen mich, sondern gegen das Boot. Mit lautem Krachen riss der Hai steuerbords ein Stück Bordwand heraus, als wäre sie aus Zeitungspapier. Fast schien es, als wolle er mich planmäßig des schützenden Holzes berauben. Selbst in Afghanistan, bei den zahlreichen Gefechten mit den Taliban, hatte ich nicht die Todesangst ausgestanden, die ich jetzt verspürte.
Durch die Lücke neben mir in der Bordwand konnte ich beobachten, wie mich der Hai weiter forschend umkreiste. Dann holte er sich urplötzlich, mit einer fast beiläufigen Bewegung, ein Stück des Bugs.
Nicht mehr lange, und von der TYCHE wären nur noch ein paar zerbrochene Planken übrig. Und was würde von mir übrig bleiben? Mehr als ein Fuß oder eine Hand?
Ich versuchte, den Bug des Bootes landwärts zu drehen. Vielleicht konnte ich mit Hilfe der Dünung zwischen die Felsen in Ufernähe gelangen, wohin mir das Viech nicht folgen konnte.
Mit vorsichtigen Schwimmbewegungen, um keinen weiteren Angriff zu provozieren, arbeitete ich mich vorwärts. Ich begann Hoffnung zu schöpfen, zumal ein weiterer Angriff auf sich warten ließ.
Die Bestie schien sich Zeit zu lassen. Was hatte sie vor?
Ein zufälliger Blick seitwärts durch das Steuerbord-Loch ließ mich innehalten. Draußen war ein gewaltiges Getümmel ausgebrochen, das Wasser brodelte förmlich. Hektisches Gekäcker erfüllte die Luft. Der Hai kämpfte um sein Leben! Die Delphine waren zurückgekehrt und wie ein Kavallerieregiment zum Angriff übergegangen. Klug griffen jeweils drei Tiere gleichzeitig an, die der Hai nicht alle auf einmal abwehren konnte. Mit erhobenen Köpfen schnellten sie aus dem Wasser, drehten sich elegant in der Luft und ließen sich, die beinharten Nasen voran, auf den Feind herniederfallen. Kaum war dieser Angriff vorgetragen, drangen schon drei weitere Delphine von der Flanke her auf ihn ein. Andere schienen den Angriff aus der Tiefe zu bevorzugen, denn mehrmals sah ich, wie der Hai hoch über die Wellen katapultiert wurde und er sich um die eigene Achse drehte, hilflos mit den Flossen ruderte und ins Meer zurückstürzte. Vor lauter Faszination vergaß ich die Gefahr, in der ich selbst schwebte. Diesem faszinierenden Schauspiel musste ich zuschauen!
Jede Schlacht ist irgendwann geschlagen. Viele enden mit der Kapitulation des Unterlegenen. Diese endete mit seiner Vernichtung.
Die Delphine ruhten nicht eher, bis der Hai leblos auf den blutrot schäumenden Wellen trieb. Bevor er starb, wurde sein geschundener Leib von heftigen Spasmen geschüttelt. Einzelne mutige Delphine stupsten ihn vorsichtig mit den Nasen an, um sich dann schnell wieder zurückzuziehen. Als sie sich des Sieges sicher sein konnten, erhoben sie ein regelrechtes Triumphgebrüll. Einige sprangen in ihrer Siegesfreude hoch aus dem Wasser, überschlugen sich und ließen sich wieder ins hoch aufspritzende Meer fallen. Sie hatten mir das Leben gerettet! Schließlich tauchte neben mir ein Kopf unter dem Boot auf.
„Das habt ihr gut gemacht“, lobte ich. Mit einer Hand hielt ich mich fest, mit der anderen kratzte ich ihm die Haut. Dann tauchte ich unter der Bordwand hindurch nach draußen. Irgendwie gelang es, mich am Kiel hochzuziehen und auf dem Bootsrumpf Platz zu nehmen.
Entsetzt blickte
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