Sherlock Holmes - gesammelte Werke
holte ihn ein und rang mit ihm, wobei beide an dem Schmuckstück zerrten, Ihr Sohn an einem Ende, sein Gegner am anderen. Auf einmal knackte es, und Ihr Sohn sah, dass ihm der Schmuck in der Hand geblieben war. Er eilte nun ins Haus zurück, machte das Fenster wieder zu und ging hinauf in Ihr Ankleidezimmer. Dort bemerkte er, dass der Schmuck im Handgemenge verbogen worden war. Als er noch versuchte, denselben wieder zurechtzubiegen, erschienen Sie auf dem Schauplatz.«
»Ist es möglich?«, stammelte der Bankier.
»Nun brachten Sie ihn in Wut, indem Sie ihm alle möglichen Schimpfreden ins Gesicht schleuderten, in einem Augenblick, wo er sich bewusst war, Ihren wärmsten Dank verdient zu haben. Den wahren Sachverhalt konnte er nicht enthüllen, ohne ein Weib zu verraten, das sicherlich keine große Rücksicht von seiner Seite verdient hatte. Er stellte sich jedoch auf den ritterlichen Standpunkt und wahrte ihr Geheimnis.«
»Also darum ihr Schrecken und ihre Ohnmacht beim Anblick des Schmuckes!«, rief Mr Holder aus. »Oh, mein Gott, was war ich doch für ein blinder Narr! Und seine Bitte, auf fünf Minuten vor das Haus gehen zu dürfen! Der liebe Junge wollte nur sehen, ob das fehlende Stück nicht noch auf dem Kampfplatz liege. Wie grausam von mir, wie habe ich ihn verkannt!«
»Sogleich nach meinem Eintreffen ging ich sorgfältig um das ganze Haus herum, um nach Spuren im Schnee zu suchen, die mir von Wert sein könnten. Ich wusste, dass seit dem Abend vorher kein Schnee mehr gefallen war, und bei dem starken Frost hatten sich auch die Eindrücke unverändert erhalten. Ich ging den Lieferantenweg entlang. Hier war jedoch alles zusammengetreten, sodass man nichts zu unterscheiden vermochte. Nur gerade oberhalb des Eingangs zur Küche hatte eine Frauensperson bei einem Mann gestanden, der, nach den runden Spuren seines einen Fußes zu schließen, ein hölzernes Bein trug. Man vermochte sogar zu erkennen, dass sie gestört worden waren, denn die Frauensperson war rasch zur Tür zurückgelaufen, wie die leichten Eindrücke ihrer Zehen im Gegensatz zur Ferse bewiesen, während der Stelzfuß noch eine Zeitlang gewartet und sich dann erst entfernt hatte. Ich dachte mir gleich, es werde das Dienstmädchen und ihr Liebhaber gewesen sein, von denen Sie bereits gesprochen hatten, und meine weiteren Nachforschungen bestätigten dies auch. Auf dem Gang durch den Garten konnte ich zahlreiche regellos durcheinanderlaufende Fußspuren bemerken, die ich den Polizeileuten zuschrieb. Als ich jedoch in das Stallgässchen kam, stand daselbst in den Schnee geschrieben eine ganze, lange, verwickelte Geschichte vor meinen Augen.
Da war eine zweifache Reihe von männlichen Stiefelspuren und eine weitere Doppelreihe von Eindrücken, die – wie ich zu meiner Freude sah – von den bloßen Füßen eines Mannes herrührten. Aufgrund Ihrer Erzählung war ich augenblicklich überzeugt, dass dieser Mann Ihr Sohn sein müsse. Der erste war hinauf- und heruntergegangen, der andere dagegen war rasch gelaufen, und da sein Tritt an manchen Stellen über den des ersten fortging, war er offenbar nach diesem gekommen. Ich folgte den Spuren und fand, dass sie zu dem Fenster im Hausgang führten, wo der mit den Stiefeln so lange gestanden hatte, dass der Schnee völlig weggetreten war. Dann ging ich ihnen bis zu ihrem anderen Ende nach, etwa hundert Ellen das Gässchen hinunter. Ich fand eine Stelle, wo der Gestiefelte sich umgewendet hatte und der Schnee aufgewühlt war, als ob daselbst ein Kampf stattgefunden, eine Vermutung, welche durch ein paar Blutstropfen, die im Schnee zu sehen waren, ihre Bestätigung fand. Der Gestiefelte war sodann rasch das Gässchen hinabgelaufen, und eine zweite kleine Blutspur zeigte mir, dass er es war, der die Verwundung erhalten hatte. Auf der Straße draußen ließ sich die Spur nicht weiter verfolgen, da der Fußsteig inzwischen gesäubert worden war.
Nach meiner Rückkehr ins Haus untersuchte ich, wie Sie sich erinnern, den Sims und den Rahmen an dem Gangfenster mit einem Vergrößerungsglas und konnte dabei sogleich erkennen, dass jemand hinausgestiegen war. Ferner vermochte ich die Umrisse eines nassen Fußes zu unterscheiden, den jemand beim Hereinsteigen aufgesetzt hatte. Nun fühlte ich mich allmählich imstande, mir ein Bild von den Vorgängen zu machen. Ein Mann hatte vor dem Fenster gewartet, bis ihm jemand die Steine hinausbrachte. Ihr Sohn hatte die Tat mit angesehen, den Dieb verfolgt und mit diesem
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