Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
Ich wartete bis Mitternacht, aber noch deutete nichts auf seine Rückkehr hin; ich zog mich deshalb auf mein Zimmer zurück. Es kam nicht selten vor, dass er ganze Tage und Nächte ausblieb, wenn er eine Spur verfolgte. So hatte seine Verspätung nichts Überraschendes für mich. Wann er heimkam, weiß ich nicht, aber als ich mich morgens zum Frühstück einfand, saß er schon mit einer Kaffeetasse in der einen Hand und einer Zeitung in der anderen ganz frisch und sorgfältig angekleidet da.
    »Sie werden entschuldigen, dass ich nicht auf Sie gewartet habe, Watson«, rief er mir entgegen, »aber Sie wissen ja, dass unser Klient heute schon zu ziemlich früher Stunde vorsprechen will.«
    »Ich glaube, es hat geklingelt«, versetzte ich. »Es ist ja schon neun Uhr vorüber; mich sollte nicht wundern, wenn er es wäre.«
    Es war wirklich unsere neue Bekanntschaft, der Bankier. Ich war ganz betroffen über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war; sein von Natur breites, volles Gesicht war jetzt schmal und eingefallen, und sein Haar kam mir um eine Schattierung weißer vor. Er trat mit einer Müdigkeit und Gleichgültigkeit ein, die einen noch betrübenderen Eindruck machte, als seine gestrige Aufregung, und ließ sich schwer in den Sessel fallen, den ich ihm hinschob.
    »Ich weiß nicht, womit ich diese harte Prüfung verdient habe«, begann er. »Noch vor zwei Tagen war ich ein glücklicher, wohlhabender Mann und ohne die geringste Sorge; nun gehe ich einem einsamen, ehrlosen Alter entgegen. Ein Schlag folgt dem anderen auf dem Fuß. Meine Nichte Mary hat mich verlassen.«
    »Sie verlassen?«
    »Jawohl. Ihr Bett war heute früh unberührt, ihr Zimmer leer und auf dem Tisch im Salon lag ein Brief an mich. Gestern Abend hatte ich ihr gegenüber geäußert – aber nur aus Betrübnis, nicht im Bösen –, wenn sie meinen Jungen geheiratet hätte, so wäre er vielleicht auf dem guten Weg geblieben. Es war wohl eine unbedachte Äußerung von mir. Sie spielt in dem Schreiben hier darauf an. ›Liebster Onkel!‹, lautet es, ›ich sehe ein, dass ich dich betrübt habe und dass, wenn ich anders gehandelt hätte, dieses schreckliche Missverständnis vielleicht niemals eingetreten wäre. Mit diesem Gefühl im Herzen kann ich unter Deinem Dach nicht wieder glücklich werden und muss Dich daher auf immer verlassen; mache Dir keinen Kummer um meine Zukunft, denn dafür ist gesorgt; und vor allem forsche nicht nach mir; es wäre vergebliche Mühe und mir ein schlechter Dienst. Im Leben wie im Tod verbleibe ich stets
    Deine Dich liebende
    Mary.‹
    Was kann der Brief zu bedeuten haben, Mr Holmes? Glauben Sie, dass er auf Selbstmord hindeutet?«
    »Nein, nein; kein Gedanke daran. Diese Lösung ist vielleicht die allerbeste. Ich glaube, Mr Holder, Sie sind dem Ende Ihrer Kümmernisse nahe.«
    »Ha, Sie sagen das? Sie haben etwas gehört, Mr Holmes, Sie haben etwas erfahren? Wo sind die Steine?«
    »Würden Ihnen tausend Pfund für das Stück zu hoch erscheinen?«
    »Ich gebe das Zehnfache dafür.«
    »So viel braucht es nicht. Mit dreitausend Pfund ist die Sache gedeckt. Um eine kleine Belohnung wird es sich freilich auch noch handeln. Haben Sie Ihr Scheckbuch bei sich? Hier ist eine Feder. Schreiben Sie lieber viertausend Pfund.«
    Mit ganz verdutzter Miene fertigte der Bankier den verlangten Scheck aus. Holmes ging nun an sein Schreibpult, nahm ein kleines dreieckiges Stück Gold heraus, an dem sich drei Steine befanden, und warf es auf den Tisch.
    Der Bankier stieß einen Freudenschrei aus und griff danach.
    »Sie haben es!«, stammelte er. »Ich bin gerettet, ich bin gerettet!«
    Der Ausbruch seines Entzückens war jetzt ebenso leidenschaftlich wie es zuvor sein Kummer gewesen; er drückte die wiedergewonnenen Steine an die Brust.
    »Sie haben noch eine Schuld zu tilgen, Mr Holder«, bemerkte Holmes ziemlich ernst.
    »Noch eine Schuld?« Er griff nach einer Feder. »Nennen Sie nur die Summe, und ich werde sie bezahlen.«
    »Nein. Die Schuld betrifft nicht mich. Ihrem Sohn schulden Sie eine recht demütige Abbitte. Der hochherzige Jüngling hat sich in dieser Sache so brav gehalten, dass ich stolz auf meinen eigenen Sohn sein würde, falls ich je einen bekommen sollte, hätte er im gleichen Fall ebenso gehandelt.«
    »Also ist Arthur nicht der Dieb?«
    »Nein, wie ich Ihnen gestern schon sagte und heute wiederhole.«
    »Sie wissen es gewiss? Dann lassen Sie uns gleich zu ihm eilen, um ihm zu sagen, dass man den wahren

Weitere Kostenlose Bücher