Sherlock Holmes - gesammelte Werke
mich. – Nun also, wenn’s beliebt, Mr Pycroft! Ich werde Sie nicht mehr unterbrechen.«
Unser junger Gefährte streifte mich mit einem etwas befangenen Seitenblick und begann:
»Das Schlimmste bei der Geschichte ist, dass ich mich so verdammt habe zum Narren machen lassen. Es kann ja natürlich noch alles ausgeglichen werden, und ich sehe auch nicht ein, wie ich’s hätte anders anfangen sollen. Wenn ich aber meine Stelle verliere und nichts als das leere Nachsehen behalte, wird’s mich gehörig wurmen, dass ich ein solcher Dummkopf gewesen bin. – Ich habe kein Erzählertalent, Doktor Watson, aber Sie sollen hören, wie es mir ergangen ist:
Ich hatte eine Anstellung bei Coxon & Woodhouse; allein in diesem Frühjahr ließ sich die Firma mit der Venezuela-Anleihe hinters Licht führen, Sie erinnern sich wohl daran – und da ging das Geschäft in die Brüche. Fünf Jahre war ich dort gewesen, und der alte Coxon gab mir ein famoses Zeugnis, als der Krach kam; aber natürlich wurden wir Gehilfen, alle siebenundzwanzig, entlassen. – Ich versuchte es hier und dort; doch weil, wie Sie denken können, die jungen Leute haufenweise in der gleichen Patsche waren wie ich, konnte man lange Zeit nirgends ankommen. Bei Coxon hatte ich drei Pfund die Woche gehabt und alles in allem etwa siebzig Pfund zurückgelegt, aber mein Schatz war bald aufgezehrt. Schließlich saß ich gründlich in der Klemme und wusste kaum noch, woher ich Briefpapier und Freimarken nehmen sollte, um die verschiedenen Anzeigen zu beantworten. Die Stiefelsohlen hatte ich mir schon auf den vielen Bürotreppen abgelaufen, und noch immer war keine Aussicht auf einen Posten für mich vorhanden.
Endlich las ich, dass Mawson & Williams, die große Maklerfirma in der Lombard Street, eine Stelle ausgeschrieben hatte. Wahrscheinlich halten Sie nicht viel von dieser Stadtgegend; aber das kann ich Ihnen sagen, es ist eins der reichsten Häuser in London. Etwaige Bewerber sollten sich nur schriftlich melden. Das tat ich denn und schickte auch meine Zeugnisse ein, aber ohne die geringste Hoffnung auf Erfolg. Da kam jedoch umgehend der Bescheid, dass ich mich am nächsten Montag einstellen und mein neues Amt sogleich übernehmen könne, falls meine Persönlichkeit nicht missfiele.
Weiß der liebe Himmel, wie es bei solchen Bewerbungen zugeht. Manche Leute behaupten, der Geschäftsherr greife aufs Geratewohl in den Haufen von Anerbietungen und wähle die erste beste, die ihm in die Hand kommt. Wie dem auch sein mag, diesmal hatte es mich getroffen, und wer war glücklicher als ich! – Mein Gehalt betrug ein Pfund mehr die Woche als bei Coxon, und die Arbeit war ungefähr dieselbe.
Nun komme ich aber zu dem absonderlichen Teil der Angelegenheit: Ich wohnte zur Miete draußen auf dem Weg nach Hampstead, Potter’s Terrace 17 war meine Adresse. Am selben Abend, nachdem mir die Stelle versprochen worden, sitze ich in meiner Stube und lasse mir vergnügt eine Pfeife schmecken; da bringt mir die Wirtin eine Karte herein, auf der ›Arthur Pinner, Geschäftsagent‹ gedruckt stand. Diesen Namen hatte ich niemals gehört und konnte mir nicht denken, was der Mann von mir wollte; aber natürlich sagte ich der Wirtin, sie möge den Herrn bitten heraufzukommen. Ein mittelgroßer Mann trat ein, schwarz von Haar und Bart und mit stark gebogener Nase; er sprach lebhaft und in bestimmtem Ton, wie jemand, der keine Zeit verlieren will.
›Mr Pycroft, wenn ich nicht irre?‹
›Der bin ich‹, antwortete ich und schob ihm einen Stuhl hin.
›Bisher bei Coxon & Woodhouse im Geschäft?‹
›Jawohl.‹
›Und jetzt bei Mawson angestellt?‹
›Ganz recht.‹
Was mich zu Ihnen führt, geehrter Herr, ist, dass ich viel Rühmliches von Ihrer kaufmännischen Begabung gehört habe. Sie erinnern sich wohl an Parker, der Geschäftsführer bei Coxon war? Er ist voll des höchsten Lobes für Sie.‹
Natürlich hörte ich das sehr gern. Ich war zwar immer recht tüchtig im Kontor gewesen, aber doch hatte ich mir nie träumen lassen, dass man in der Kaufmannswelt so von mir spräche.
›Sie haben ein gutes Gedächtnis?‹, fragte er weiter.
›Das geht wohl an‹, erwiderte ich bescheiden.
›Sind Sie, während Sie außer Stellung waren, mit dem Börsenkurs auf dem Laufenden geblieben?‹
›Jawohl, ich lese jeden Morgen den Kurszettel.‹
›Wirklich – nun, das zeugt von wahrem Eifer; dabei können Sie es zu etwas bringen. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich Sie ein wenig auf
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