Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Anweisung in Betreff dieses Hauses, sodass sie meine Nachbarin werden könnte, ohne dass ich doch in irgendwelcher Beziehung zu ihr zu stehen schiene. Um recht vorsichtig zu sein, ließ ich das Kind tagsüber nicht aus dem Haus gehen und sein kleines Gesicht und seine Hände mit einer Maske bedecken, damit sich nicht etwa, wenn es jemand am Fenster sähe, das Gerücht verbreiten könnte, es befinde sich hier ein Negerkind. Wäre ich weniger vorsichtig gewesen, hätte ich vielleicht klüger gehandelt, aber ich war halb wahnsinnig vor Angst, du könntest die Wahrheit erfahren.
Du hast mir zuerst mitgeteilt, dass das Häuschen wieder bezogen sei. Nun hätte ich bis zum Morgen warten sollen, aber ich konnte vor Aufregung nicht schlafen, und so schlich ich mich endlich davon, da ich ja wusste, wie schwer du aufzuwecken warst. Aber du sahst mich gehen, und damit fing meine Not an. Am nächsten Tag hattest du es in der Hand, meinem Geheimnis auf die Spur zu kommen, aber du warst großmütig genug, deinen Vorteil nicht zu verfolgen. Drei Tage später waren Kind und Pflegerin kaum zur Hintertür hinaus, als du zur vorderen hereinstürztest. Und heute weißt du nun alles, und ich frage dich: Was soll aus uns, meinem Kind und mir, werden?« Sie schlug ihre Hände zusammen und wartete auf Antwort.
Es dauerte lange zwei Minuten, ehe Grant Munro das Schweigen brach; aber die Antwort, die er gab, war so, dass ich mich ihrer immer mit Vergnügen erinnere. Er hob die Kleine auf, küsste sie, streckte dann, das Kind auf dem Arme behaltend, der Mutter die Hand hin und wandte sich der Tür zu.
»Wir können die Sache gemütlicher daheim besprechen«, sagte er. »Ich bin kein sehr guter Mann, Effie, aber ich denke doch, ich bin besser, als du mich geschätzt hast.«
Holmes und ich folgten ihnen auf dem Heckenweg. Als wir auf die Straße kamen, zupfte mich mein Freund am Ärmel und flüsterte mir zu: »Ich denke, wir können uns in London nützlicher machen als in Norbury.«
Nicht ein Wort äußerte er weiter über den Fall, bis er sich spätabends mit einer brennenden Kerze in der Hand in sein Schlafzimmer begab.
»Watson!«, sagte er. »Sollte es Ihnen einmal so vorkommen, als würde ich etwas zu selbstbewusst oder verwendete weniger Mühe auf einen Fall, als er verdient, flüstern Sie mir bitte nur das eine Wort ›Norbury‹ ins Ohr, und Sie werden mich Ihnen sehr zu Dank verpflichten!«
E INE SONDERBARE A NSTELLUNG
Kurz nach meiner Verheiratung kaufte ich dem alten Farquhar seine Praxis im Stadtbezirk von Paddington ab. Er war früher ein sehr gesuchter Arzt gewesen, bis sein hohes Alter und das Nervenübel, an dem er litt – eine Art Veitstanz – ihm viele Patienten abwendig machten. Das Publikum urteilt begreiflicherweise nach dem Grundsatz, dass, wer andere kurieren will, selbst gesund sein sollte; es setzt wenig Vertrauen in die Kenntnisse eines Doktors, der für sein eigenes Leiden kein Heilmittel weiß.
So schwanden die Einnahmen meines Vorgängers mit seinen Kräften, und als ich die Praxis übernahm, war deren früherer Ertrag von 1200 Pfund auf etwa 300 jährlich herabgesunken. Im Vertrauen auf meine Jugend und Tatkraft zweifelte ich jedoch nicht, dass das Geschäft in wenigen Jahren wieder so blühend sein würde, als es je gewesen.
Während der ersten drei Monate nach Übernahme der Praxis war ich tüchtig in Anspruch genommen und sah daher wenig von meinem Freund Holmes; ich hatte zu viel zu tun, um ihn in der Baker Street aufzusuchen, und er ging überhaupt selten irgendwohin, außer in Berufsgeschäften.
An einem Julimorgen saß ich noch beim Frühstück, in eine medizinische Zeitung vertieft, behaglich im Studierzimmer, als es klingelte und ich zu meiner Überraschung gleich darauf die etwas scharfe Stimme meines ehemaligen Gefährten hörte.
»Mein lieber Watson«, sagte er eintretend, »wie freue ich mich, Sie wiederzusehen! Ich hoffe, Ihre Frau hat sich von allen Aufregungen bei unserem Abenteuer mit dem ›Zeichen der Vier‹ vollkommen erholt.«
»Danke – wir sind beide wohlauf!«, sagte ich, ihm herzlich die Hand schüttelnd.
»Ich hoffe aber auch ferner«, fuhr er fort und setzte sich in den Schaukelstuhl, »dass Sie über die Sorgen des ärztlichen Berufs nicht alles Interesse an unseren kleinen Problemen und Schlussfolgerungen verloren haben.«
»Ganz im Gegenteil. Erst gestern Abend habe ich meine alten Notizen durchblättert und einige unserer früheren Erlebnisse hinzugefügt.«
»Sie
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